Neuigkeiten aus dem Stay-Forever-Hauptquartier!
 
#26 – JUNI 2023

 

 

Liebe Leute,

Karlsruhe ist nicht die allerschönste aller Städte und in Deutschland auch eher in einer Randlage, aber für Fans von alten Spielen hat sie immerhin zwei Dinge zu bieten, die nicht jede Stadt vorweisen kann: die Arcade-Ausstellung vom Retrogames e.V. (1) und, nun ja, das Hauptquartier eines bekannten Podcasts (2). Ort (2) sollte eigentlich der Schauplatz eines Hörertreffens werden, das Gunnar leichtsinnig anberaumt hatte, weil er mit maximal 25 Interessenten gerechnet hatte. Es wurden 257 Anmeldungen und die Sause musste nach Ort (1) verlegt werden. 

Am Ende war der zu erwartende Menschenauflauf den meisten Interessenten dann doch zu viel und am betreffenden Abend schlugen so 50-60 Hörer beim Hörertreffen auf, eine überschaubare Gruppe, die die Lokalitäten, das Café Noir und eben die Ausstellung von Retrogames e.V. angenehm füllten, ohne dass man sich auf den Füßen gestanden hätte. Den Preis für die weiteste Anreise erhielt Michael aus Österreich, der schon mehrfach auf weite Reisen gegangen ist, um seine Lieblingspodcaster live zu erleben!

Vom SF-Team waren Gunnar und Quizmaster Christian Beuster vor Ort und hatten genügend Gelegenheit, alle Hörer zumindest persönlich zu begrüßen und mit vielen zu reden. Es war ein großer Spaß und ein toller Abend! Wir wiederholen das bestimmt, vermutlich im Herbst, schau’n mer mal.

 

Reaktionen auf das Stay-Forever-Heft

 

In der letzten Ausgabe des Newsletters hatten wir unser Stay-Forever-Magazin angeteasert, das wir allen Unterstützer ab der 15€-Stufe als exklusives Goodie im Mai versprochen hatten. Nach einer epischen Verpackungs- und Versandaktion in der Familie Lott ist es in der ersten Maiwoche wohlbehalten bei allen Empfängern angekommen sein.

Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis – mit 24 Seiten ist es ein zwar kleines, aber feines Heft geworden, hochwertig gedruckt auf gutem Papier und gefüllt mit ausführlichen, sorgfältig recherchierten Artikeln. Die meisten stammen vom SF-Team, aber auch unser lieber Kollege Paul Kautz von Game Not Over hat zwei sehr schöne Geschichten beigetragen. Unter anderem drehen sich die Artikel im Heft um das am schlechtesten bewertete Spiel in der Geschichte der Power Play, um Karten zu Spielen und deren Bedeutung, um einen folgenreichen Gerichtsstreit rund um International Karate, um eine kuriose Hardware namens Barcode Battler, und einiges mehr.

Das Wichtigste aber: Nicht nur wir sind zufrieden, sondern auch die Leser des Hefts. Wir haben Anfang Mai alle Empfänger gebeten, uns in einer Umfrage zum Heft Feedback zu geben. 250 von euch haben das getan, und die Ergebnisse haben uns aufatmen lassen. Mehr als 90% fanden das Magazin gut oder sehr gut, insgesamt erreichten uns sehr viele positive Urteile. Layout, Schreibstil, Themen, alles scheint euch gefallen zu haben. Größter Kritikpunkt: Der geringe Umfang des Hefts, vor allem angesichts der hochpreisigen Unterstützerstufe, die man dafür haben muss. 

Wir haben alles Feedback (auch aus dem SF-Team) in einem internen Dokument gesammelt, Punkt für Punkt diskutiert und Ableitungen für die nächste Ausgabe beschlossen. Denn ja: Es wird eine nächste Ausgabe geben! Auch das ist ein Ergebnis aus der Umfrage: Eine Mehrheit wünschte sich, dass auf der 15€-Stufe in Zukunft einmal im Jahr ein Heft erscheinen soll. Das werden wir umsetzen. Und wir erweitern den Umfang von 24 auf 32 Seiten, um Platz für mehr und auch längere Themen zu haben. Die nächste Ausgabe erscheint auch nicht erst im Mai 2024, sondern schon im Januar. Wichtig: Das SF-Heft bleibt eine exklusive Belohnung für Unterstützer ab der Ebene „Exzentrischer Größmäzen“ auf Patreon und Steady, und es bleibt eine gedruckte Ausgabe, kein PDF.

Wir freuen uns sehr, dass dieser kleine Ausflug zurück zu unseren Wurzeln als Print-Journalisten bei euch so gut ankam und hoffen, dass noch mehr von euch auch bei der zweiten, umfangreicheren Ausgabe dabei sein werden!

 

Entenbesuch bei Matthäus

 

Unser Cutter Matthäus hatte neulich überraschenden Besuch auf seinem Balkon: Eine Ente, nennen wir sie mal Jeanne Q'uak, hatte ihn als Nestbaustandort auserkoren. Und zu einem Nest gehören auch Eier, die ausgebrütet werden müssen. Und aus Eiern schlüpfen Küken!

Lassen wir Matthäus das selber erzählen: „Nachdem die kleinen Kükerinos dann geschlüpft waren (ich hab sie nicht angefasst, aber maaaan, sind die FLAUSCHIG!), bat ich den Pressesprecher um einen Kommentar zum NES-Klassiker Duck Hunt, woraufhin ich mit einen lauten Piepsen auf meinen Platz verwiesen wurde und ich mich ent-fernte. Und zwar ent-gültig. Mit Hilfe des NABUs haben wir dann die Großfamilie, die noch mit zwei Adoptivküken erweitert wurde, ans Wasser ausgesetzt. Also: Ente gut, alles gut.”

Matthäus versucht, authentische Kükengespräche für seine Soundbibliothek aufzunehmen.

 

Stay Forever im Juni

 

Stay Forever: Für Folge 133 haben wir Klassiker aus der Frühzeit und goldenen Ära der Spielhallen zur Abstimmung gestellt. Es sah lange nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen von Breakout und Donkey Kong aus, aber schließlich entschieden sich unsere Unterstützer für Breakout. Damit gewinnt überraschend das älteste Spiel aus der Liste. Im Juni gehen wir also so weit zurück in der Geschichte der Spiele wie noch nie bei Stay Forever.

 

Super Stay Forever: Auch für Folge 63 von Super Stay Forever wurde abgestimmt, hier prügelten sich große Kampfspiele um die Gunst unserer Unterstützer. Dabei gab es zwei klare Favoriten, aber unter denen nur eine knappe Entscheidung – letztendlich lag Street Fighter 2 vorne. Fabian und Gunnar gehen für den Faustkampf raus auf die Straße.

 

Stay Forever Technik: Folge 11 von Stay Forever Technik setzt da an, wo Folge 9 endete: Nachdem Henner und Gunnar bereits die Geschichte von Commodores VC-20 erzählt haben, machen sie nun mit dem Heimcomputer-Klassiker schlechthin weiter, dem Commodore 64. Versteht sich, dass das wieder eine detaillierte Aufdröselung von Geschichte, Technik und Bedeutung der Kult-Maschine werden wird. Aber wie soll man die bedeutendsten Spiele einer Plattform küren, auf der so eine Menge wegweisender Games erschienen sind? Nun, auch dafür hat Henner sich etwas überlegt …

 

Stay-Forever-Quiz: In der neunten Runde unseres beliebten Quiz’ wird einiges anders: Nicht nur ändert sich der Spielmodus, sondern auch das Teilnehmerfeld. Premiere über Premiere also, nur zwei Dinge bleiben gleich: Wie immer kommen die Fragen von unseren Hörern, und wie immer schenken sich die Kandidaten nichts!

 

Unterstützer-Inhalte im Juni

 

Format ohne Namen #18: Gunnar und Chris unterhalten sich über Dinge aus ihrem Leben. Chris hat ein Volksfest besucht, Gunnar hat ein Spiel aus reinem Spaß gespielt - beides unerhörte Vergnüglichkeiten, die schuldbewusst diskutiert werden müssen. Außerdem erfahren wir, ob die beiden Podcaster gewissenhafte Menschen sind.

 

Wusstet ihr eigentlich …? Nachschlag zu unseren Hauptfolgen, im Juni gleich doppelt: Gunnar und Chris schauen sich Age of Empires nochmal genauer an und reden unter anderem über die bizarren Dinge, die passieren, wenn man Cheatcodes eingibt. Und Fabian und Gunnar haben zu Street Fighter 2 noch lange nicht alles gesagt und sprechen zum Beispiel darüber, warum im Untertitel beinahe „World Warrier” gestanden hätte, und über den Street Fighter-Wecker und andere Merchandise-Kuriositäten.

 

Stay Forever Technik Bits: In der siebten Folge unseres kürzeren Technik-Formats sprechen Henner und Fabian diesmal nicht über ein einzelnes Gerät, sondern über die Geschichte einer ganzen Technologie: des Force Feedback. Wo kommt Force Feedback her, wie funktioniert es überhaupt, und was haben die NASA, die US Air Force und mehrere US-amerikanische Elite-Universitäten damit zu tun?

 

Making Mags: Die bislang längste Episode von Making Mags (zweieinhalb Stunden!) beschäftigt sich ausführlich mit der wechselhaften, stellenweise abenteuerlichen Geschichte des Cypress-Magazins Fun Generation. Benedikt – der selbst für eine Weile Chefredakteur des Hefts war – hat sich dazu Simon Krätschmer als Gesprächspartner geholt, der bei der Fun Generation als Redakteur und stellvertretender Chefredakteur die Sporen lernte und später bei Giga TV, MTV Game One und den Rocket Beans die deutsche Games-Medienszene mitprägte.

 

Zehn Jahre klüger: Im Juni 2013 schließt Electronic Arts das Studio Danger Close. Das waren mal die ehemaligen Dreamworks Interactive und Westwood Studios, also bedeutsame Firmen, die hier endgültig zu Grabe getragen werden. Chris und André blicken darauf ebenso zurück wie auf das Schicksal von Patrice Désilets Spiel 1666: Amsterdam und andere Themen des Monats. 

 

Limitiertes bei Retro Shirty

 

Ein limitiertes Kontingent der Collector's Edition des fantastischen Shooter-Buchs von Bitmap Books, I’M TOO YOUNG TO DIE: THE ULTIMATE GUIDE TO FIRST-PERSON SHOOTERS 1992–2002, gibt es bei uns im Retro-Shirty-Shop. Die aufwändig verarbeitete Sammleredition wird von Bitmap Books auf 2000 Stück limitiert. Neben diversen enthaltenen „Feelies“ beeindruckt die Collector's Edition mit einer Präsentationsbox, die an die „Big Box“-Zeit erinnern soll. Wer keines der streng limitierten Exemplare ergattert, kann bei der normalen Edition des Buchs zuschlagen. Und wer noch Geschenke für Freunde, Familie, oder, äh, sich selbst sucht, kann sich mal durch unser Buchangebot stöbern. Die Auswahl wird von uns kuratiert und jedes der Bücher liegt im Stay-Forever-HQ auf Lager.

 

 

Christians Neuzugänge

Domino, Kniffel, Schach, ... Zatre? Christian ist ein altmodisches deutsches Gesellschaftsspiel in die Sammlung geflattert.

1991, kurz nach der Wende, besucht der Spielekritiker Wieland Herold Berlin. Herold ist Gründer der Zeitschrift „Spiel & Autor“, in Berlin will er eigentlich Flohmärkte abklappern, um nach interessanten Brettspiel-Ausgaben zu suchen. Das erweist sich als Schlag ins Wasser, aber dann entdeckt er in einer Kneipe in Steglitz ein Spiel, das er noch nie gesehen hat: Zatre heißt es, kurz für „Zahlentreppe“. Ein Legespiel ähnlich wie Scrabble, nur dass man statt Buchstaben Zahlen aneinanderfügt, um auf Summen von 10, 11 oder 12 Punkten zu kommen. Herold ist angetan: „Ein Spiel, dem man schnell verfallen kann“, schreibt er in seiner Rezension.

Erdacht hat Zatre der Berliner Manfred Schüling. Der war mal Schmuckhändler, Texter fürs Kabarett, Gedichteschreiber, Lebenskünstler; nebenbei erfindet er Brettspiele. Die vertreibt er im Eigenverlag in Kleinstauflagen aus seiner Wilmersdorfer Wohnung heraus, gespielt werden sie in der Westberliner Kneipenszene. 1990, da ist er 55 Jahre alt, bringt Schüling Zarte heraus, für 50 DM bekommt man die Erstauflage mit schicken Keramiksteinen. Berliner Brettspielfreunde finden Gefallen an dem leicht zu erlernenden, aber taktisch anspruchsvollen Knobelspiel, es mausert sich zum lokalen Geheimtipp.

Manfred Schüling (rechts) bekommt von Anatoli Karpow in Cannes den Preis As D’Or 1998 überreicht, den er mit Zatre gewinnt.

So erfährt 1992 auch Wolfgang Perner von Zatre. Perner führt den österreichischen Verlag Peri Spiele, den sein Vater Erich 1959 gegründet hatte. Das Unternehmen sitzt in Traxenbichl in der oberösterreichischen Pampa* und lebt von klassischen Gesellschaftsspielen: Domino, Kniffel, Schach. Unter dem ehrgeizigen Wolfgang Perner expandiert die Firma, gründet Zweigstellen in der Schweiz und in Nürnberg, die Produktion wandert nach Slowenien. 1989 macht Peri einen kurzlebigen Abstecher in die Welt der Schachcomputer, 1990 übernimmt der Verlag die Rechte an Das kaufmännische Talent, genannt DKT, der österreichischen Variante von Monopoly. Auf der Suche nach neuen Spielen fürs Portfolio stößt Perner auf den Berliner Indie-Hit Zatre. 1993 erscheint das Spiel landesweit bei Peri – und landet direkt auf der Auswahlliste für das Spiel des Jahres. Zwar geht der Titel an Bluff, die deutsche Version des US-amerikanischen Würfelspiels Liar’s Dice. Aber immerhin, ein Achtungserfolg.

Der gibt Wolfgang Perner Rückenwind, er glaubt an das Potenzial des Spiels. Denn anders als beschauliche Familienspiele hat Zatre das Zeug zum Wettbewerbssport. Ein neues Schach vielleicht, oder zumindest ein Dame oder Mühle? Ein neuer Klassiker fürs Peri-Portfolio, gleichauf mit Halma und Domino? Perner jedenfalls sieht die Chance, um Zatre herum das aufzubauen, was man heutzutage eine Community nennen würde. Im September 1994 gründet er mit dem Zatre-Autor Manfred Schüling an Bord des Havelschiffes „Feen-Grotte“ den ZATRE e.V., der die Szene rund um das Spiel begleiten, organisieren und Turniere ausrichten soll. Vorsitzender ist Schüling, Vereinsadresse dessen Wohnung Berlin-Wilmersdorf. Der Verein wiederum unterstützt die Gründung lokaler Clubs, und tatsächlich: In der Folge entstehen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zahlreiche kleine Zatre-Gruppen, in denen sich Spielbegeisterte regelmäßig zu Partien treffen.

(Rechts: Wolfgang Perner)

Auch wenn der Verein nominell eigenständig ist, befeuert wird die Szene von Perner. Der Verlag pusht das Produkt mit offiziellem Zubehör und Merchandise wie Zatre-T-Shirts; als Peri Ende der 90er auch im Internet präsent ist, dominieren Zatre-Banner und Links die Webseite. Peri sponsort Turniere und Meisterschaften; 1998 etwa die Deutsche Meisterschaft in Berlin und ein separates „PPG Masters“ – PPG steht für die Perner Publishing Goup. Dort kämpfen die acht Weltranglistenbesten um den Titel (denn klar, eine Weltrangliste gibt es mittlerweile ebenfalls, gepflegt vom ZATRE e.V.), wobei nur sechs davon antreten, die beiden Schweizer Teilnehmer bleiben bei der Anfahrt im Schnee stecken. Im April 1999 richtet Perner das „PPG ZATRE U$ OPEN“ auf Mallorca aus, den besten Teilnehmern zahlt er Flug und Hotel, der Rest muss sich durch Vorausscheidungen qualifizieren. Dem Sieger winken 7.000$ Preisgeld**. In dem Willen, Zatre als Breitensport zu etablieren, lässt Perner kaum etwas unversucht. Und so kommt 1997 ein weiterer Baustein dazu: ein Computerspiel.

Das fällt Wolfgang Perner mehr oder weniger in den Schoß. Auch im Münchener Vorort Grafing hat sich ein Zatre-Club gegründet; beim Besuch ihres örtlichen Lieblings-Griechens entdecken die Eheleute Jürgen und Petra Kock eine Gruppe Spieler und sind angefixt. Bald werden sie selbst Mitglieder. Als sich Petra 1996 bei einem Skiausflug das Kreuzband reißt und mit Gipsbein zuhause liegt, kommt Jürgen eine Idee: Er programmiert ihr zum Zeitvertreib eine Computer-Version von Zatre. Mit Spiele-Entwicklung hat Kock nichts am Hut, tagsüber plant er bei Siemens Nixdorf als Entwicklungsleiter Unix-Großrechner. Aber immerhin hat er als Fingerübung für sich schon mal eine digitale Version der SAT-1-Spielshow „5 mal 5“, die seine Frau und er gern gucken, in Visual Basic gebaut; auf dieser Basis entsteht nun Zatre als Windows 3.1-Programm. Die Regeln des Spiels sind einfach genug, die Herausforderung liegt in der Erstellung eines Computergegners. Dem programmiert Kock einfach seine eigenen Strategien ein – eine digitale Variante von sich selbst, sozusagen. Die Zielgruppe ist schließlich nur seine Frau.

Jürgen Kock auf dem Startbildschirm seines Zatre-Computerspiels

Weil Jürgen und Petra Kock in der Zatre-Szene aktiv sind, kennen sie auch den Schöpfer Manfred Schüling, man trifft sich bei Turnieren in Berlin. Dort zeigt Kock Schüling sein digitales Zatre. Schüling ist skeptisch, ob ein Computer sein Spiel beherrschen kann, aber „dann hat er gleich mal verloren“, erzählt Kock: „Da hat er geschluckt.“ Über Schüling erfährt der Verleger Wolfgang Perner von Zatre, dem Computerspiel. Dem kommt das sehr gelegen, denn Anfang 1996 ist Peri Spiele pleite gegangen. Perner rettete den Betrieb in eine Nachfolgefirma, die Perner Produktions GmbH (PPG). Dort dreht sich nun mehr denn je alles um Zatre. Ein digitales Spiel würde zwar passen, aber eigentlich geht es Perner ja um die Community, deshalb fehlt ihm etwas Wesentliches: ein Online-Modus. Für das Jahr 1996 ist das ein radikaler Gedanke. Jürgen Kock ist ratlos, wie er das umsetzen soll. Er entscheidet sich für eine hemdsärmelige Lösung: „Ich hatte keine Ahnung von Online-Programmierung. Deshalb habe ich das über FTP-Protokoll gemacht, also den Spielzug als Datei abgespeichert und über FTP auf den Server gestellt. Der andere Spieler hat es dann per FTP wieder heruntergeholt und eingelesen. So wurde dann hin- und hergespielt.“

1997 erscheint Jürgen Kocks digitales Zatre als Verkaufsversion. Allerdings nicht im Computerspiele-Handel, sondern in Brettspiel-Läden, Perners vertrautem Vertriebskanal. Und nicht als Online-Variante, sondern nur als Solo-Spieler-Version, die auf den Untertitel „Smart“ getauft wurde. Die „Professional“-Version, mit der übers Netz gespielt werden kann, muss per Post oder Internet bei der PPG bestellt werden. Zudem gibt es eine „Light“-Version, in der die höheren Spielstärken deaktiviert bleiben.

Warum stellt Perner nicht gleich die Professional-Version in die Läden? Nun, vermutlich deshalb, weil sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht fertig gewesen zu sein scheint. Kocks FTP-Lösung funktioniert zwar leidlich und reicht für interne Spiele im ZATRE e.V., aber belastbar ist sie nicht. Zudem will Perner das Online-Spiel nun auch gleich an die Weltrangliste anbinden. Also organisiert er einen Programmierer, der Kock das Online-Backend liefert. Über das digitale Zatre kann man nun Online-Matches ausführen und dabei ELO-Punkte sammeln, die wiederum direkt mit der Weltrangliste des ZATRE e.V. synchronisiert werden. Es dauert, bis das funktioniert. Erst im November 1998 stellt die PPG Zatre Professional parallel auf der Hobbyland-Ausstellung in Berlin und dem Spielefest in Wien vor, zur Premiere wird ein Live-Match auf einer Leinwand übertragen. Die Berliner Spielerin liegt uneinholbar vorn, da bricht die Netzverbindung ab. In der Wiederholungspartie gewinnt Wien den von Perner gestifteten Pokal.

Die Professional-Version gibt es wohl nur auf Bestellung, im Laden findet man nur die Smart-Variante für Solisten. Die Schachtel der Smart-Version ist in genau dem gleichen Stil gehalten wie das Brettspiel, nur etwas kleiner. Drin liegen zwei 3,5“-Disketten und eine dünne Anleitung, dazu eine Postkarte für die Mitgliedschaft beim ZATRE e.V. 19,95€ kostet das digitale Spiel, genauso viel wie das Brettspiel. Die Professional-Version dagegen schlägt mit 34,95€ zu Buche; wer in der Weltrangliste mitmischen will, muss sich zudem für zusätzliche 10€ dafür freischalten lassen. An Verkaufszahlen erinnert Jürgen Kock sich nicht mehr, aber viel kann es nicht gewesen sein; er habe „ein paar Lizenzgebühren“ dafür bekommen. Was ihm aber auch gleichgültig war, Zatre sei für ihn ein Hobby gewesen, das Programm ein Spaßprojekt.

Ein Spaß, der leider durch einen Fauxpas vergällt wird. Denn die Online-Verknüpfung der Professional-Version ist zwar ein zukunftsweisender Gedanke, allerdings haben Kock und Perner eine Sache nicht bedacht: Damit lässt sich auch betrügen. „Einige haben sich ELO-Punkte erschummelt, damit sie an den Masters-Turnieren teilnehmen konnten“, erinnert sich Kock. „Ein Online-Spiel, bei dem geschummelt wird, macht keinen Spaß mehr. Da ist das kaputt gegangen.“ Darüber ärgert sich Kock auch heute noch, ein Vierteljahrhundert später, denn für ihn war die Zatre-Szene in den 90ern ein Stück heile Welt.

Sein Spiel ist ein Zeitzeugnis dieser heilen Welt, ein Blick in eine kleine, freundschaftliche Gemeinschaft. Schon beim Starten des Spiels begrüßt einen ein Foto des gutgelaunten Jürgen Kock, das Titelbild ist ein Poster, das Manfred Schüling 1990 für sein Spiel selbst gemalt hat, die Spielhilfe enthält Hintergrundinformationen zu Schüling und dem ZATRE e.V. Die sechs verschiedenen Schwierigkeitsstufen des computergesteuerten Gegenspielers hat Kock nach Freunden aus der Szene benannt: Von Schüling als Einsteiger-Gegner („Spieleerfinder sind immer leicht zu schlagen“) über Willi, den Wirt der Stammkneipe, in dem sich der Berliner Zatre-Club trifft, bis zu Petra, Jürgen Kocks Frau – eine kompetente Spielerin, 1998 erreicht sie Platz 7 der Zatre-Weltrangliste. Im höchsten Schwierigkeitsgrad tritt man gegen Jürgen Kock selbst an, was das Programm augenzwinkernd mit „Wer soll diese unglaubliche Spielkunst übertreffen?“ kommentiert. Man kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Hinter dem laienhaften Charme steckt ein kompetentes Programm, denn ja: Zatre macht überraschend viel Freude, auch heute noch, egal ob physisch oder digital***.

So ist das Computerspiel ein Relikt einer kuriosen Nische innerhalb der Brettspiel-Szene, die wohl – trotz aller Anstrengungen – auch zu besten Zeiten nie über ein paar hundert Mitglieder hinaus kam. Das Computerspiel spricht von „über 200“ Vereinsmitgliedern, 1998 endet die Weltrangliste mit Platz 41; Wolfgang Perner, der Firmenchef, steht mit einer einzigen gespielten Partie auf Platz 31. Aber diejenigen, die dabei waren, haben sehr warme Erinnerungen, so wie Jürgen Kock: „Wir haben einmal in der Woche mit etwa zwölf Mann bei uns in der Kellerbar Zatre gespielt, ein Bierchen getrunken und sind von Turnier zu Turnier gefahren. Das war eine wunderbare Zeit.“

*1993 verewigt Peri Spiele seinen provinziellen Standort in dem Spiel „Kennen Sie Traxenbichl?“, in dem man auf einer Europa-Karte obskure Ortschaften finden muss.

**Insgesamt vergibt Perner auf Mallorca 10.000$ Preisgeld; 1.000$ gehen an den dritten Platz, 2.000$ an den zweiten. Den holt Jürgen Kock.

***Die Perner Publishing Group ging 2004 endgültig Pleite, seitdem liegen die Rechte an Zarte bei Amigo. Sowohl das Original als auch die spätere Kartenspiel-Variante werden inzwischen nicht mehr produziert und sind nur noch gebraucht zu bekommen. Die digitale (Smart-)Version dagegen gibt’s noch heute als kostenlosen Download, auf der Webseite des ZATRE e.V. Der existiert noch, auch wenn seit einigen Jahren keine Turniere mehr stattfinden.

 

 

System Shock Remake

Wir sind geschockt! Mit einer Verspätung von fünfeinhalb Jahren wurde das Remake von System Shock nun doch noch in die Welt entlassen. Fabian hat es gespielt.

Die Geschichte dieses Remakes ist symptomatisch für viele problematische Projekte, die über die Jahre auf Kickstarter ins Leben gerufen wurden: Mitte 2016 starteten die amerikanischen Nightdive Studios auf der Crowdfunding-Plattform eine Kampagne, um eine modernisierte Neuauflage des Klassikers System Shock von Looking Glass zu entwickeln. Das ließen sich viele Retro-Fans nicht zweimal sagen: 1,35 Millionen Dollar gingen am Ende ein, die Finanzierung war gesichert, der Dezember 2017 als anvisierter Releasetermin freudig im Kalender markiert.

Doch dieser Termin verstrich. Im Detail darzulegen, was die Entwicklung weiter und weiter verschleppte, würde den Rahmen mehrerer Newsletter sprengen, darum eine Kurzfassung: Man wechselte von Unity auf die Unreal Engine, entwickelte Ambitionen, die mit der angedachten Zeit und dem eingenommenen Geld nicht in Einklang zu bringen waren, tauschte Personal aus, fing noch mal von vorne an und wurde von der Corona-Pandemie erwischt. Mit dem Plaion-Label Prime Matter fand Nightdive Ende 2021 schließlich einen Publishing-Partner, und jetzt ist das Spiel da.

Für die Kickstarter-Unterstützer endet eine lange Zeit des Wartens, im Gegensatz zu anderen Kickstarter-Ärgernissen möchte ich Nightdive aber zusprechen, dass sie sich an anderer Stelle in den letzten Jahren als kompetente Spielefirma erwiesen haben. Das auf Neuauflagen spezialisierte Studio hat Spiele wie Turok 2 (2017), Doom 64 (2020) und Quake (2021) durchaus gut in die Neuzeit gebracht.

Das Remake von System Shock beginnt mit einem einleitenden Flug durch New Atlanta im Jahr 2072. Schließlich landen wir im Appartement des Hackers, den wir spielen, und wenige Minuten sowie eine unfreiwillige Reise später finden wir uns auf der Raumstation Citadel wieder. In relativer Unkenntnis des Originals sammle ich schon im ersten Raum etwa 27 Gegenstände ein, die ich liebend gerne gegen klare Instruktionen tauschen würde. Missmutige Mutanten helfen mir nicht weiter, als ich freundlich nach dem Weg frage. In einer mir völlig angemessen erscheinenden Reaktion haue ich sie dafür mit einer Eisenstange. Leider bin ich danach kein Stück schlauer als vorher.

Wer Gäste so empfängt, sollte sich nicht über eine Entführung wundern.

Überfordert irre ich umher, bis ein erster Feind mit Feuerwaffen meine Eisenstange zur Lachnummer und mich zu einem leblosen Zellhaufen degradiert. Einige ähnlich traurige Tode später schaue ich ein wenig verschämt in den Review Guide, dessen 89 Seiten inklusive bebilderter Komplettlösung mittlerweile gar nicht mehr so überdimensioniert wirken. Was also möchte System Shock von mir? Ah, ich soll hier was hacken, da ein Cyberspace-Spiel-im-Spiel erledigen, dort über einen Code stolpern und diesen an anderer Stelle eintippen. Aber wie soll ich auch in Ruhe nachdenken, während die stotternde Schurken-KI Shodan mich so gern tot sehen würde, was in gleichem Maße für die vielen Feinde in den labyrinthischen Gängen gilt? Für einen Moment wünsche ich mir, ich hätte zu Spielbeginn die separaten Anspruchsregler für Kampf, Cyberspace und Rätsel runtergedreht. Aber wer rechnet denn heute noch damit, dass Spielfortschritt wirklich erarbeitet werden will? Das Remake nimmt seine Vorlage und Spieler gleichermaßen ernst, Nightdive hat das Spiel nicht auf aktuelle Konventionen simplifiziert.

Wer gut gefüllte Inventare toll findet, wird System Shock richtig lieben.

Nachdem ich das akzeptiert und das Spielkonzept verstanden habe, klappt es besser. Dass mir die Citadel etwas monoton vorkommt, ist okay, visuelle Vielfalt hat vermutlich nicht die höchste Priorität beim Bau einer Raumstation. Und dass vieles gleich aussieht, heißt nicht, dass es schlecht aussieht. System Shock findet hier einen guten Mittelweg zwischen Retro und Moderne. Es bemüht sich gar nicht erst um Triple-A-Niveau, sondern will mit neuen Mitteln den alten Stil treffen. Ich find’s schön schaurig, die gute Sprachausgabe tut ihr Übriges.

System Shock ist inhaltlich immer noch faszinierend, an vielen Stellen erkennt man die Bauteile, die später Spiele wie Bioshock, Dishonored oder auch Dead Space verwendet haben. Komplett vom Hocker haut System Shock mich – vielleicht gerade deswegen – insgesamt aber nicht. Dafür habe ich zu wenig nostalgische Liebe für das Original und zu viel Kenntnis neuerer Spiele, die das damals so bemerkenswerte Konzept zugänglicher umgesetzt haben. Wer sich aber eine in der Erfahrung authentische Neuauflage gewünscht hat, für den sollte das Remake nach all der Zeit die Erwartungen voll erfüllen.

Wer sich in den Cyberspace wagt, muss auch dort mit Widerstand rechnen.

Ich habe System Shock auf dem Steam-Deck gespielt. Das funktioniert auch ohne Maus und Tastatur gut, schließlich musste Nightdive für die (später erscheinenden) Versionen für PlayStation und Xbox ohnehin eine Controller-Steuerung ersinnen. Der Controller ist aber schon vollgepackt, und man merkt, dass System Shock ursprünglich nicht dafür entwickelt wurde, auch wenn sich das UI sinnvoll entschlackt präsentiert.

Seit 2015 existiert mit der System Shock: Enhanced Edition übrigens eine weitere Version des Spiels, auch diese wurde von Nightdive Studios entwickelt. Hier handelt es sich um das nur moderat modernisierte Originalspiel. Eine Enhanced Edition von System Shock 2 soll folgen. Wenn ihr noch (viel) mehr über System Shock erfahren wollt, hört euch einfach Folge 27 von Stay Forever an, hier wurde das Original von Chris und Gunnar besprochen. Wenn die 2013 schon gewusst hätten, wie lange wir später auf das Remake warten würden! Wir nehmen im Übrigen Wetten an, ob und wann System Shock 3 kommen wird. Angekündigt wurde es 2015.

 

Retronews

Christopher hat für euch die Internet-Archive durchforstet und präsentiert aktuelle Ereignisse und Veröffentlichungen aus der Welt der Retro-Spiele.

M.U.D.S. – Interview mit Teut Weidemann: Auf YouTube schaut sich Retro-Kollege MagisthansSpielekiste den Rainbow-Arts-Titel M.U.D.S. an und spricht dafür mit dem Entwickler Teut Weidemann. Wie auch in späteren Fantasy-Sport-Videospielen wie Blood Bowl geht es in M.U.D.S. (Mean Ugly Dirty Sports) darum, mit allen Mitteln der Gewalt ein Football-artiges Spiel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Als Manager besticht und erpresst man, als Coach bringt man den Spielern neue Angriffe bei – taktisch wie körperlich –, und als Spieler kämpft man sich durch die Begegnungen mit Fantasy-Kreaturen aller Art. M.U.D.S. ist kürzlich auf GOG erschienen.

 

Amberstar- & Ambermoon-Quellcodes veröffentlicht: Stay Forever wirkt an der Spielegeschichte mit! Nach unserer Folge zu Ambermoon und dem Interview mit den Entwicklern Jurie Horneman, Karsten Köper und Erik Simon hat Jurie Horneman in seinen (digitalen) Archiven gekramt und verloren geglaubte Quellcodes und Entwickler-Dokumente zu Amberstar und Ambermoon gefunden. Auf seinem Blog beschreibt Jurie, wie die Codes aus den 1990er-Jahren auf verschiedenen Geräten verteilt waren und irgendwo in den Blue-Byte-Büros und -Kellern verschwanden. Weil die Quellcodes als verschollen galten, gab es verschiedene Projekte für Ambermoon-Remakes, zuletzt das großartige Ambermoon.net von unserem Community-Mitglied Pyrdacor. Seine Variante Ambermoon Advanced fügt dem Spiel zudem neue Inhalte und Features hinzu. 

 

Werksbesichtigung bei Sony 1970: Das Computer History Archives Project ist eine Fundgrube für altes Bildmaterial aus TV-Berichten und Werbung aus der Computergeschichte. So gab es im vergangenen Mai zum Beispiel Beiträge über Sowjetische Mikrocomputer der Achtzigerjahre und die Xerox Sigma-Computer. Einer der spannendsten aktuellen Beiträge ist jedoch eine Werkstour bei Sony aus den 1970er-Jahren, die Teil eines Sony-Werbefilms war. Gezeigt werden unter anderem das Sony-Gebäude in Ginza, das Sony Research Center und die Fabriken, in denen die Geräte zusammengesetzt werden. Der Werbefilm zeigt historische Produkte wie das erste Sony-Tonbandgerät, das TR-55-Transistorradio (das erste von Sony und das erste in Japan), und den TV-8, den ersten Transistor-TV der Welt.

 

Analogue Duo in der Vorbestellung: Der amerikanische Hersteller Analogue, über dessen „Pocket” Fabian im Januar-22-Newsletter berichtet hat, hat die Vorbestellungen für sein neues Gerät „Duo“ eröffnet. Analogue spezialisiert sich, vereinfacht gesagt, auf die Imitation der Ursprungssysteme auf Hardware-Ebene. Hat der Pocket die Hardware für Game Boy (+ Color und Advance) „emuliert“, so handelt es sich beim Duo um eine Retro-Konsole, auf der PC-Engine-Spiele gespielt werden können. Die Konsole ist mit einem Cartridge-Slot und einem CD-Laufwerk ausgestattet, wobei die Spiele durch einen FGPA-Chip betrieben werden. Unterstützte Systeme des Duo sind PC-Engine, SuperGrafx, TurboGrafx-CD, PC Engine-CD-ROM und Super Arcade CD-ROM. Die Geräte sollen laut Analogue noch 2023 ausgeliefert werden. Gleichzeitig kündigte Analogue ein Adapter-Set für den Pocket an, das Adapter für die hier genannten Systeme sowie Neo Geo Pocket Color und Atari Lynx enthält. Mehr Informationen zur Konsole und zur Vorbestellung gibt es beim Hersteller.

 

Warum Symphony of the Night auf der PSP anders klingt: Als der Musikproduzent und -podcaster SynaMax versuchte, eine vollständige Sammlung der Soundfiles aus dem PS1-Klassiker Castlevania: Symphony of the Night zu finden, fiel ihm auf, dass die im Internet verfügbaren Sammlungen unvollständig oder fehlerhaft waren. Wäre es nicht einfach möglich, mit etwas Arbeit die Dateien aus dem Originalspiel zu extrahieren? Als er sich den Code des Spiels anschaute, stellte er fest: Nein, so einfach ist es nicht. Denn Symphony of the Night verwendet zwei verschiedene Arten von Sounds: streaming audio und sequenced audio. Ersteres lässt sich leicht extrahieren, es sind Musikstücke oder Sounds, die vollständig in einer Soundbibliothek liegen. Sequenzierte Sounds hingegen enthalten lediglich eine Anleitung für die CPU, die die Sounds dann selbst produzieren muss. Dies führt dazu, dass Sounds auf verschiedenen Systemen unterschiedlich klingen oder sogar komplett angepasst werden müssen. Einen deep dive in die technische Seite alter Konsolentitel und Soundbeispiele gibt es im YouTube-Video von SynaMax.

 

Zelda’s Adventure für den Game Boy: In den 90er-Jahren schloss Nintendo mit Philips einen Vertrag über die Entwicklung von drei Zelda-Titeln. Die ersten beiden waren Side-Scrolling-Plattformer, der dritte war ein traditionelles Top-Down-Action-Adventure-Spiel. Die Spiele erschienen auf dem Compact Disc-Interactive, kurz CDi. Jedes der drei Spiele für sich ist ein fragwürdiger Eintrag in die Zelda-Historie, sowohl in Sachen Präsentation als auch Gameplay. Die Spiele gelten nicht als Kanon im Zelda-Universum. Den geringen Verkaufszahlen der CD-i-Konsolen entsprechend waren die drei Spiele kommerziell nicht erfolgreich. Die ersten beiden, Faces of Evil und Wand of Gamelon, erhielten zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung gemischte Kritiken, während die Resonanz auf Zelda's Adventure überwiegend negativ war. Legendär geworden sind die grottenschlechten FMV-Sequenzen aus den ersten beiden Spielen, die im Internet-Zeitalter der 2000er-Jahre in zahlreichen Memes verarbeitet wurden. In einem Artikel stellte die Zeitschrift Edge fest, dass Zelda-Fans die CD-i-Spiele als „Blasphemie“ betrachten.

Trotz dieser Kritik glaubte der Programmierer John Lay daran, dass Zelda’s Adventure auch Gutes zu bieten hat – in der Form eines Game-Boy-Titels. Seine Portierung macht aus Zelda’s Adventure ein komplett neues Spiel, das Fans der Reihe nun auf einfachem Weg selbst erleben können. Das Spiel erinnert an die Ästhetik von Link's Awakening, enthält aber auch einige Elemente aus Oracle of Ages und Oracle of Seasons, von denen die letzteren beiden für den Game Boy Color entwickelt wurden. 

Der eingangs erwähnte Vertrag zwischen Nintendo und Philips, der Philips die Entwicklung dieser Spiele erlaubte, war dabei eher ein Kompromiss als ein Wunsch Nintendos. Ursprünglich plante Nintendo Ende der 80er-Jahre, zusammen mit Sony eine CD-Erweiterung für das SNES zu bauen – das „SNES-CD” oder „Nintendo Play-Station”. Nintendo hielt sich jedoch nicht an die Abmachung und schloss einen Vertrag mit Philips. Dies führte dazu, dass Sony die Entwicklung selbst fortführte, woraus die PlayStation entstand (ohne Bindestrich wegen Namensrechten). Als Nintendo jedoch Anfang der 90er-Jahre den Flop des Sega Mega-CD beobachteten, verschrotteten sie die ganze Idee der Philips-Kooperation. Als Teil der Auflösung der Vereinbarung gab Nintendo Philips die Lizenz, mehrere seiner Figuren, darunter Link, Prinzessin Zelda, und Ganon, für Spiele auf der Philips-Konsole zu verwenden.

Die Portierung gibt es auf der itch.io-Seite von John Lay, dort ist das Spiel auch im Browser spielbar.

 

 

Zeitreise

Ab in die Zeitmaschine! Wir reisen in die Vergangenheit und schauen uns an, welche Spiele diesen Monat Geburtstag feiern.

von Christopher

Vor 40 Jahren ... (Juni 1983)

 

Hierzulande ist Portopia Renzoku Satsujin Jiken kaum bis gar nicht bekannt – das liegt nicht nur am langen japanischen Titel, der übersetzt The Portopia Serial Murder Case bedeutet, sondern auch daran, dass das Spiel nie woanders als in Japan oder in einer anderen Sprache als Japanisch erschien. Das ist für historisch interessierte Menschen wie uns bedauerlich, denn The Portopia Serial Murder Case ist ein für die Entwicklung der Spielegeschichte einflussreiches Spiel. Das 1983 von Yuji Horii entwickelte Spiel war einer der frühen Vertreter der Grafikadventures und festigte Konventionen des Genres. 

The Portopia Serial Murder Case wird in der Ich-Perspektive erzählt, die verschiedenen Ereignisse werden mit Standbildern und Textausgabe beschrieben. Spieler interagieren mit dem Spiel über einen Verb-Nomen-Parser. In der Detektivgeschichte, laut Publisher Square die erste Detektiv-Adventure-Story, müssen Spielerinnen und Spieler in der fiktiven Hafenstadt Portopia den mysteriösen Mord an einem reichen Geschäftsmann aufklären. Dafür redet man Adventure-typisch mit verschiedenen Figuren, untersucht Gegenstände und besucht verschiedene Orte. Das Spielprinzip war besonders einflussreich für das japanische Visual-Novel-Genre. Zudem nennt der legendäre Spieleentwickler Hideo Kojima The Portopia Serial Murder Case als eines der Spiele, die ihn am meisten beeinflusst haben. Kojima sagt, er habe von Portopia die Möglichkeit der Dramatik in Spielen gelernt. 

Hideo Kojima

Bis 2023 fristete The Portopia Serial Murder Case seine Zeit als Kleinod der Spielegeschichte; einflussreich, aber im Westen wenig beachtet. Das änderte sich, als Square Enix auf der diesjährigen Game Developers Conference eine 30-minütige Live-Demo eines KI-Rätselspiels vorstellte, die zeigte, wie „KI“-Technologie im Stil von ChatGPT Spiele verbessern kann, indem sie den Spielern mehr Kontrolle über ihre Äußerungen gibt und NSCs hat, die „intelligent“ auf Eingaben reagieren. Der Traum: weg vom Rätselraten, welches exakte Wort das Spiel hören will. Bei dem Rätselspiel handelte es sich natürlich um ein Remake von Portopia. Was spannend klingt, war leider ein Desaster: Die „KI“, also der Parser, ist immer noch genau so verbohrt wie 1983. 

Die Steam-Rezensionen

Da es auf Steam oft Review-Bombing bei Spielen gibt, die zwar fehlerhaft sind, aber doch ganz gut laufen, wollte ich mir die Demo selber anschauen (die es übrigens kostenlos zum Download gibt). Vor allem, da sie die Möglichkeit versprach, Portopia heute zu erleben, ohne rar gesäte Fan-Übersetzungen zu testen. Zudem erschien Portopia zunächst nur für den japanischen NEC PC-6001, entsprechend schwierig ist es, eine frühe ROM von Portopia zum Laufen zu kriegen. Also fix bei Steam die Demo geladen. 

Der „Endboss“ von Portopia: Alle Eingaben scheitern an unserem Assistenten.

Relativ unvermittelt wirft mich das Spiel nach einem kurzen Einleitungstext, der den Mord beschreibt, in ein Visual-Novel-typisches Interface. Ein junger Mann, der sich als mein Assistent vorstellt, kann mittels simpler Eingaben von Personen und Orten berichten, und ich kann ihn zum Herumfragen wegschicken. Wenn in seinen Berichten ein neuer Name oder Ort auftaucht, wird dieser in einer praktischen Liste rechts hinzugefügt. So weit, so gut. Die Qual beginnt, als ich versuche, einen anderen Ort aufzusuchen. Ich will zum Tatort, das wäre Yamakawa’s Mansion, das Heim des Toten Kozo Yamakawa. In meinen Versuchen, dahin zu reisen, lerne ich die drei Lieblingssätze meines Assistenten kennen: „I’m not sure what to say about that“, „Maybe we should focus on the task at hand?“, und besonders hilfreich: „Hmm…“. Okay. 

Go to mansion. 
Hmm… 
Go To Yamakawa’s Mansion. 
Hmm… 

Unerwähnt bleiben hier hundert verschiedene Variationen, Abkürzungen, Synonyme, und so weiter. Helfen kann mir mein Assistent auch nicht, Eingaben wie „help” oder „what should I do” werden mit einem „Maybe we should focus on the task at hand?“ beantwortet. Ich versuche, mehr über die Figuren herauszufinden. 

Tell me about Yamakawa. 
„Maybe we should focus on the task at hand?“ 

JA DAS IST DOCH DER TASK! Das Mordopfer! Moment. 

Tell me about Kozo. 
„Kozo Yamakawa, head of Yamakin Loans. (...)“ 

Aha, das Spiel akzeptiert also den Vor-, aber nicht den Nachnamen. Ich habe fast das Gefühl, dass das 1983 besser funktioniert hat. Aber wie komme ich jetzt zum Tatort? Nach einer halben Stunde Herumprobieren bin ich mir fast schon sicher, dass das Spiel kaputt ist und jede Eingabe zu „Hmm…“ führt. Als ich das Spiel zum zehnten Mal neu starte und zum vierhundertsten Mal „Go to mansion” eingebe, funktioniert es plötzlich. Ich möchte gleichzeitig lachen und weinen. Endlich geht es weiter. Ich stehe vor Kozos Haus. Der Mord geschah aber im Arbeitszimmer. 

Go to study. 
Hmm… 
Enter study. 
I’m not sure what to say about that. 

Nun, „examine study” hat das gewünschte Ergebnis gebracht, als sei das Arbeitszimmer ein Gegenstand vor meiner Nase. Um meiner Gesundheit Willen schließe ich an dieser Stelle das Spiel. Mit jeder Eingabe versucht diese Neuauflage von The Portopia Serial Murder Case den Spieler in den Wahnsinn zu führen.

Das Original aus dem Jahr 1983 sieht sehr charmant aus. 

 


 

Einer der – zumindest popkulturell – einflussreichsten Arcade-Automaten wurde zum ersten Mal im Juni 1983 in den Vereinigten Staaten aufgestellt: Dragon’s Lair von Advanced Microcomputer Systems und Ex-Disney-Zeichner Don Bluth. Bis zum Ende des Jahres wurde Dragon’s Lair von Computerzeitschriften als das führende Arcade-Spiel der USA eingestuft, das durch seinen Erfolg auch dabei half, die Videospielkrise zu überwinden, die im Dezember 1982 mit E.T. The Extra-Terrestrial ihren Anfang nahm – schaut mal in die Zeitreise des Dezember-Newsletters. Aufgrund seiner Grafik wurde Dragon’s Lair als das wichtigste Spiel des Jahres 1983 gewürdigt. Die flüssigen und hochauflösenden Animationen im Disney-Film-Stil wurden vor allem im Vergleich mit den rudimentären Präsentationen anderer Spiele gelobt. Hinweg geschaut wurde dabei natürlich über das vergleichsweise sehr viel simplere Spielprinzip von Dragon’s Lair

Der Held: Dirk the Daring

Das Spiel läuft auf Schienen, die Geschichte ist also vorgegeben, Spielerinnen und Spieler haben nur sehr begrenzten Einfluss auf ihren Verlauf. Das Spiel besteht fast ausschließlich aus animierten Zwischensequenzen. Man steuert die Handlungen der Spielfigur nicht direkt, sondern kontrolliert ihre Reflexe durch Quick-Time-Events, die das Drücken verschiedener Tasten am Automaten erfordern. Entsprechend unserer Reaktionsfähigkeit zeigen Full-Motion-Videosegmente das Ergebnis: Der Held zieht weiter, oder er stirbt. Wegen des einfachen Spielprinzips waren Spielhallen-Betreiber besorgt, dass die Kundschaft den Ablauf schnell durchschauen und das Spiel nicht mehr spielen würde. Dem Erfolg und der Faszination der Grafik tat dies keinen Abbruch: Bis Februar 1984 spielte Dragon's Lair über 32 Millionen Dollar ein (inflationsbereinigt 87 Millionen Dollar). 

Ein Nachfolger wurde geplant, jedoch nie in die Realität umgesetzt. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen konnten Arcade-Betreiber mit der Zeit die abnehmende Beliebtheit von Dragon’s Lair beobachten, wenn Spieler wie befürchtet das Spiel auswendig lernten, und es entweder spielen konnten, ohne dem Betreiber viel Geld durch ständigen Münzeinwurf zu generieren, oder es gar nicht mehr spielten. Zum anderen war die Bauweise der Dragon’s Lair-Automaten viel fehleranfälliger als die anderer Arcade-Automaten. Das Spiel, das von einer LaserDisc gelesen wurde, zerstörte seine LaserDisc-Player binnen kürzester Zeit: Die Lesegeräte waren in erster Linie für die Wiedergabe von Filmen konzipiert, bei denen sich die Lasereinheit beim linearen Lesen der Daten allmählich über die Disc bewegte. Bei Dragon's Lair mussten jedoch je nach Spielverlauf alle paar Sekunden – in manchen Fällen sogar in weniger als einer Sekunde – verschiedene Filmsequenzen auf der Disc gesucht werden. Die hohe Anzahl der Suchvorgänge in Verbindung mit der langen Betriebsdauer des Geräts konnte dazu führen, dass der LaserDisc-Player nach relativ kurzer Zeit ausfiel. Dazu kam noch, dass die einseitig bespielte Disc auf der Rückseite mit Metall beschwert war, um Verbiegungen vorzubeugen. Das Gewicht übte zusätzlichen Stress auf die Player aus. 

Die initiale Popularität von Dragon’s Lair führte auch zu einer TV-Animationsserie im Stil des Spiels. Vor jeder Werbepause steht die Hauptfigur Dirk the Daring vor einer brenzligen Situation. Ganz im Sinne des Spiels erzählt der Erzähler Dirks Optionen und fragt den Zuschauer: „Was würdest du tun?“ Nach der Werbepause wurden die Ergebnisse der verschiedenen Möglichkeiten gezeigt. Wer die Netflix-Serie Stranger Things gesehen hat, erinnert sich sicher auch an die prominente Platzierung des Spiels zu Beginn der zweiten Staffel, als Rotschopf Max die Arcade dominiert.

 


 

Vor 30 Jahren … (Juni 1993)

 

Seit Populous, das 1989 erschien, machte sich das Entwicklerstudio Bullfrog Productions als innovatives und experimentierfreudiges Studio einen Namen. Unter der Leitung des legendären Peter Molyneux entstanden Spiele, die ihresgleichen suchten und mit frischem Gameplay und wilden Genremixen andere Entwickler inspirierten und ganze Gattungen etablierten. Dank Populous war der Begriff „Göttersimulation“ en vogue, dessen Genre Molyneux 1997 mit Dungeon Keeper mit Echtzeit-Strategie und einem parodistischen Anstrich versah. Magic Carpet (1994) vermischt den Aufbau-Gedanken mit einer Flugsimulation, Theme Park (1994) erschafft das Sandbox-Prinzip. In vielen dieser Produktionen hat der Spieler die ultimative Macht über Länder, Gebiete, und ihre Bewohner. Die zynischen Molyneux-Werke lassen den Spieler dabei nicht nur die guten Seiten des Götterdaseins ausleben, sondern bieten auch die Möglichkeit, Chaos zu stiften. Auf die Spitze treibt Bullfrog die Idee des bösen Herrschers in Syndicate, das vor genau 30 Jahren im Juni 1993 erschien.

Peter Molyneux

Syndicate entführt uns in eine beklemmende Zukunft, in der Megakonzerne die Welt beherrschen und skrupellos um Macht und Kontrolle kämpfen. Als Spieler und Syndikats-Boss kontrolliert man die Agenten einer dieser Organisationen, die ihre Aufträge ohne Rücksicht auf Verluste erfüllt. Syndicate brach die Grenzen moralischer Vorstellungen, indem der Spieler selbst rücksichts- und gewissenlos Zivilisten Gehirnwäschen unterzieht, sie eliminiert oder erpresst. 

Wie andere Bullfrog-Spiele zeichnet sich Syndicate durch sein innovatives Gameplay aus. Spieler steuern ein Viererteam von Cyborg-Agenten, die mit einer Vielzahl von Waffen und Implantaten ausgestattet sind. Taktische Planung in den Missionen ist Pflicht, um die bockschweren Levels durchzustehen. Auch in Syndicate kann der Spieler göttergleich unschuldige Zivilisten übernehmen und kontrollieren, hier möglich gemacht nicht durch göttliche Kräfte, sondern durch allgegenwärtige Chip-Implantate, die die Bevölkerung unterjochen. Apropos schwer: Nicht immer war das Erfüllen der Missionsziele das Problem, sondern das Heimbringen der Agenten. Wenn das Team nur knapp die Mission überstand, wussten Spieler schon, dass sie wahrscheinlich dank Hinterhalte auf dem Rückweg ihre Agenten doch noch verlieren würden. 

Die Agenten sind auf dem Rückweg.

Auch der Simulations-Aufbau-Teil durfte bei Syndicate nicht fehlen: Zwischen den Missionen verdienen erfolgreiche Syndikats-Chefs Geld durch Steuergelder, die sie in die Forschung und Entwicklung neuer Waffen und Cyborg-Upgrades stecken. Die Steuern kommen aus den in Missionen eroberten Gebieten, zu hoch besteuerte Gebiete können rebellieren, was zum Verlust des Gebiets führt und eine Wiederholung der Mission erfordert.

1996 erschien ein gefloppter 3D-Nachfolger namens Syndicate Wars, 2015 konnten sich Fans über einen geistigen Nachfolger, Satellite Reign, freuen, der von Mike Diskett entwickelt und via Crowdfunding finanziert wurde. Mike Diskett, der an der Entwicklung von Syndicate beteiligt war und die Portierung auf verschiedene Systeme leitete, hing immer noch am Originalspiel und ärgerte sich über das Reboot von Syndicate 2012 als Shooter, sodass er in Eigenregie das Spielprinzip von Syndicate wieder aufleben ließ. Das kam gut an: In der GameStar vergab Martin Deppe 83 Punkte. Sein Fluchen über die schwierigen Missionen zeigt, dass Mike Diskett verstanden hat, was Syndicate ausmacht.

Satellite Reign von Mike Diskett

 

 
 

Bis nächstes Mal!

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Liebe Grüße aus dem SFHQ

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