Richard Garriott hat sich nicht viele Gedanken um den Titel des dritten Teils der Ultima-Reihe gemacht. Was das Wort Exodus bedeutete, wusste er nicht, als er das Spiel so betitelte, ebenso wenig um die biblischen Konnotationen, oder dass der Titel nichts mit der Handlung des Spiels zu tun hatte. Laut Lord British, so Garriotts Künstlername und Alter Ego in der Ultima-Welt, war es für ihn einfach nur ein Wort, das gut klang. Im erzählerisch reichen, aber an Gameplay-Hinweisen armen Handbuch versuchte Co-Autor Roe R. Adams III, der bereits an Handlungen und Handbüchern der Wizardry- und Bard’s Tale-Reihen mitarbeitete (und später zusammen mit Garriott die acht Tugenden Ultimas entwickeln würde), den Titel anhand einer Einleitung herzuleiten, die an alte Seefahrer-Legenden erinnert:
„Ein möglicher Hinweis auf die Identität deines Erzfeindes wurde entdeckt. Ein marodes Handelsschiff wurde kürzlich in den Hafen geschleppt. Es waren keine Besatzungsmitglieder an Bord, weder lebendig noch tot. Alle waren verschwunden, als wären sie von einer bösen Macht von Bord gerissen worden. Das Einzige, was man fand, war ein mit Blut geschriebenes Wort auf dem Deck: EXODUS.“
Im Spiel taucht dieses Schiff nicht auf und kann damit auch keine Hinweise auf die Identität des Bösewichts geben, der seit kurzer Zeit für Tod und Verderben im Lande Sosaria sorgt. Die einleitende Erzählung weiß jedoch: Bei Exodus muss es sich um den Nachwuchs aus einer unheiligen Vereinigung der Ultima I & II-Schurken, Mondain und Minax, handeln, der von den Heldinnen und Helden erschlagen werden muss.
Die Charakter-Erstellung
Die verkörperten Figuren in Ultima III gestalten sich divers. Anstelle des bisher aus den ersten beiden Teilen bekannten solitären „Fremden“ können Spielende nun eine Truppe von bis zu vier Reckinnen und Recken zusammenstellen, ein Element, bei dem sich Garriott laut eigener Aussage von Wizardry hat inspirieren lassen. Dieses klassische Rollenspiel-Prinzip findet hier das erste und einzige Mal Anwendung: In späteren Teilen konnte zwar auch eine Party gespielt werden, die jedoch erst im Verlaufe des Spiels gesammelt wurde, anstelle sie vor dem Spiel anzupassen.
Wie auch die ersten beiden Ultima-Teile war Exodus noch eine Fingerübung für Richard Garriott. Erst ab dem vierten Teil, sagt Garriott in einem Interview, konnte er sich wirklich auf das Spiel selber konzentrieren, ohne sich von Programmier-Problemen ablenken zu lassen. Das ist auch an der Generalüberholung der Serie zu erkennen, die mit Teil 4 – Quest of the Avatar – stattfand. Exodus war das erste Ultima-Spiel, das via Origin Systems, Garriotts eigener, 1983 gegründeter Firma erschien. So erreichte Feedback zum Spiel direkt Richard Garriott, nicht einen fremden Publisher. Eine der Erzählungen, die an Lord British herangetragen wurden, waren Spielende, deren Hobby in der Spielwelt es nicht war, die Quests als guter Held zu lösen, sondern alles und jeden umzubringen – vor allem Lord British. Mit dem in Quest of the Avatar eingeführten Tugend-System, das zu Beginn des Spiels die Prioritäten der Spielerinnen und Spieler abfragt, versuchte Garriott, mehr Immersion zu schaffen: Die Spielenden sollten nicht mehr bloß eine Rolle verkörpern, sondern sich selbst spielen. Und hoffentlich wie ein Held agieren und nicht marodierend durchs Spiel ziehen.
Vor dem Thron des Lord British
Dass Teil 3 noch eine Übung für Garriott war, kein durch und durch perfektes Spiel, ist schon am Setting zu erkennen: Wie Teil 1 greift Exodus auf die Welt Sosaria zurück, die Garriotts Dungeons & Dragons-Abenteuer entstammt. Teil 2 spielte dagegen auf unserer Erde – ein wildes Durcheinander. Erst Quest of the Avatar etabliert die bekannte Ultima-Welt Britannia. Die entsteht in der Handlung der Spiele auch nur aus dem zerstörten Sosaria, bildet aber so einen Neuanfang für die Serie, die dabei dann auch gleich fremdelnde Science-Fiction-Elemente über Bord wirft. Wie Garriott es formuliert:
„„Ultima 1 bis 3 sind nur dadurch verbunden, dass ich bei jedem Spiel zurückgeschaut und da weitergemacht habe, wo ich willkürlich aufgehört habe. Bei Ultima 4 habe ich endlich gesagt: Ich schaffe die Balrogs und Orks von Tolkien ab, ich schmeiße die Lichtschwerter und Landspeeder aus Star Wars raus. Ich erfinde meine eigene Welt von Grund auf.“
Richard Garriott, 1983 und 2020
Exodus spart sich immerhin zum größten Teil die Sci-Fi-Verweise. Bis die Spielenden am Ende überrascht werden: Der Oberbösewicht ist kein Dämon, sondern ein Computer, und die vier magischen Karten, die im Verlauf des Spiels zu sammeln sind, entpuppen sich als Lochkarten. Auch hier zeigt sich eine leichte Willkür auf Seiten Garriotts: Wie haben Mondain und Minax einen Computer als Nachfahren geschaffen?
Trotz Coding-Schwierigkeiten und ohne genauen Plan für die Serie entwickelt Exodus die Technik und das Gameplay der Serie weiter. Während die untersten vier Zeilen der Apple-II-Grafik im vorherigen Teil noch für reine Textausgabe reserviert waren, kann der komplette Bildschirm nun Grafik darstellen. Zudem ersann Garriott einen Algorithmus, der sich mit dem Gameplay verwob: Eine Sichtlinien-Mechanik hindert die Spielenden nun, durch Wände zu sehen. Die Draufsicht aus vorherigen Titeln wurde beibehalten, jedoch sind nun nicht mehr auf jedem Bildschirm alle Figuren und Gegner zu sehen, bis sie nicht auch logisch für die Party zu sehen waren. Dies nutzt Exodus für Gemeinheiten, die in vorherigen Ultimas nicht möglich gewesen wären.
In Exodus muss mit NPCs geredet werden, um essentielle Hinweise für die Lösung des Spiels zu erhalten. Und es sind viele NPCs, die mit Vorliebe in Rätseln sprechen. Das wäre kein Problem, wenn diese Figuren nicht – anscheinend!? – um das Sichtlinien-Feature wüssten. Welchen Grund hat dieser Charakter, sich in der hintersten Ecke einer unrealistisch Tetris-förmigen Wand zu verstecken, hinter der man ihn erst sieht, wenn man auf dem Feld daneben steht?
Warum versteckt der NPC sich da?
Ein Aspekt, den Lord British vielleicht nicht zum Guten weiterentwickelte, ist der Parser des Spiels. Moment, Parser? Die frühen Ultima-Spiele nutzten doch eine Hotkey-Steuerung – “A” zum Angreifen, “C” um einen Zauberspruch zu wirken, und so weiter. Mit der aufkommenden Popularität von Textadventures erhielt jedoch nun auch die Ultima-Reihe einen Aspekt der Adventure-Anfangszeit: Bevor die Idee aufkam, Adventures frustfrei und spaßig zu gestalten, war es die typische Rätsellogik von Adventures, den Spielenden vorzuenthalten, welche Verben sie an gewissen Stellen zu nutzen hatten. Das Herausfinden von Wörtern war Teil des Rätsels. Und genau dieses Element hält Einzug in Ultima III: Exodus. Damit Spieler dieses neue Rätsel auch zu schätzen wissen, gibt es nicht nur hilfreiche versteckte Verben wie BRIBE (Bestechen), sondern auch zu erratende Verben, die für das Fortfahren im Spiel notwendig sind. Eines dieser Verben ist PRAY (Beten), das im Tempel einen wichtigen Hinweis ergibt – zum Glück kein abwegiger Befehl in einem Tempel. Ganz ohne Hilfestellung sind Spielende nicht: NPCs erklären die wichtigsten Begriffe in Konversationen.
An anderer Stelle verbesserte Garriott das Spielerlebnis deutlich: Dungeons machten endlich Spaß. Wie in Ultima I präsentierten sich Dungeons in Ultima II noch mit farblosen Drahtgitterwänden, und der Inhalt war so trist wie die Grafik. Es gab keinen Grund für die Heldinnen und Helden der Erde, sich in die Dungeons herabzulassen, denn am Ende der meisten Gewölbe wurden sie mit der gleichen Überraschung entlohnt: nichts. Zugegebenermaßen war für damalige Spielerinnen und Spieler vielleicht der Weg das Ziel, und es war nicht wichtig, ob vitale Informationen in der Oberwelt gesammelt wurden oder Monster in Kavernen erschlagen.
Farbige Flächen in Dungeons – wie schön!
Dennoch verbessert Garriott das System der Dungeons in Exodus deutlich. Endlich erstahlen die Dungeons, die in der Ego-Perspektive erkundet werden, in bunten Farben. Und auch die Inhalte werden bunter: Reichtümer und Items locken Abenteurerinnen und Abenteurer in die Tiefe, ganz zu schweigen von den vier Zeichen, die in den Dungeons zu finden sind, die sich in einem schmerzhaften magischen Prozess auf den Körper des Avatars übertragen und ebenso notwendig für den Abschluss der Handlung sind wie die unzähligen NPC-Gespräche.
Wie auch die Vorgänger wurde Exodus von Fans und Kritikern positiv empfangen. Aufmerksamen Leserinnen und Lesern ist das Erscheinungsjahr 1983 als das Jahr des großen Videospielcrashs aufgefallen – das Überleben des jungen Studios Origin Systems wird der hohen Qualität und guten Reputation der Ultima-Serie angerechnet. Die Rezensentin Scorpia lobte in Computer Gaming World Dezember 1983 die Verbesserungen gegenüber den Vorgängern, ärgerte sich aber über das antiklimaktische Roboter-Ende.
Ultima III: Exodus war das erste Spiel der Serie, das für eine Konsole veröffentlicht wurde. Es wurde 1986 von Origin auf das NES portiert. Dabei handelte es sich um das gleiche Grundspiel, das jedoch einige Änderungen aufwies: Die Grafik wurde durch Zeichnungen im Anime-Stil ersetzt, und die Hotkey-Steuerung wurde durch ein System von Popup-Menüs ersetzt, das an andere NES-RPGs dieser Zeit wie Dragon Warrior und Final Fantasy erinnert.
Stilsicher und hübsch: Das Anime-Cover der NES-Version
Im November 1985 – also zwei Jahre nach Ultima III – erschien der Nachfolger Ultima IV: Quest of the Avatar, der die Ultima-Reihe von Grund auf erneuerte. Ultima III: Exodus markierte das Ende der „Age of Darkness“-Trilogie, darauf folgt die „Age of Enlightenment“-Trilogie, in der sich die Serie vom Hack-and-Slash- und Dungeon-Crawl-Gameplay der Vorgänger zu einem tugendzentrierten, handlungsorientierten Ansatz entwickelt. Die Größe der Spielwelt von Ultima IV übertraf die von Ultima III um das Sechzehnfache. Dazu jedoch mehr an dieser Stelle in zwei Jahren und ein paar Monaten.