Das monatliche E-Mail-Magazin vom Stay Forever Podcast
 
#29 – SEPTEMBER 2023

 

 

Liebe Leute, willkommen im September!

 

Hier ist Gunnar, ich möchte ein bisschen von meinem August berichten. Mal abgesehen davon, dass es über weite Strecke zu warm war, gab es ein lebensveränderndes Ereignis: Meine Tochter (15) ist abgereist zu ihrem Auslandsjahr in Irland – unser kleiner 3-Personen-1-Katze-Haushalt ist schwer dezimiert, und meine Frau und ich sind noch im Anpassungsprozess. Ist ja nicht ganz so easy, wenn man als Paar immer um das Einzelkind gekreist ist, und plötzlich ist es fort! Und zu allem Übel hat das Kind mein Steamdeck mitgenommen, um weiter der Kynseed-Sucht frönen zu können. Das war aber offenbar eine Fehlkalkulation – in Irland ist sie bei einer Großfamilie, da ist so viel Trubel, dass Computerspielen nicht so recht zur Debatte steht. Und ich muss Baldur’s Gate 3 im Sitzen am PC spielen, anstatt das im Fläzen auf dem Sofa zu tun. 

Naja, und dann war da noch die gamescom. Gamescom, das klingt für die meisten Leute nach Fun, aber ich war seit 2003 auf jeder einzelnen und bin meist beruflich zu beschäftigt, um irgendwas anzuschauen. Ist eher Stress als Spaß, zumal da ja nun auch wirklich ein bisschen arg viele Leute rumlaufen. Immerhin habe ich neben beruflichen Terminen eine Reihe von Freunden des Hauses getroffen, Heiko Klinge (GameStar), Peter Steinlechner (früher GameStar), Fabian Siegismund (auch früher GameStar), David Bhulapatna (früher GamePro), Chris Hülsbeck (himself), Frank Matzke (früher Keiko), Paul Kautz (übertrieben gut gelaunter Podcaster) und viele andere. Ist halt eine Art Klassentreffen für ältere Gamesbranchenmitglieder. 

Bei meinem einzigen kurzen Ausflug in die dem Publikum zugänglichen Hallen habe ich, ahem, gar kein Spiel angeschaut, sondern bin zum Stand von Netflix geschlichen, um dort vor der Wednesday-Deko ein Foto von mir mit einem Lookalike von Lurch (dem Diener der Addams Family) und dem „Eiskalten Händchen“ zu machen. Nicht für mich, natürlich, es war nur zum Angeben vor meiner Tochter. Hat mir immerhin ein „Wie cool!“ per Whatsapp eingebracht. 

So, und nun zum Programm!

 

Stay Forever im September

 

Stay Forever: Der Macintosh als Spiele-Plattform kam bei Stay Forever bisher noch nie richtig vor, dabei sind auf ihm einige wichtige Spiele erschienen, deren Einfluss auf den Rest der Spielebranche ausstrahlte. Eines davon knöpfen Gunnar und Chris sich im September vor. Um es mit Gunnars Worten zu sagen: „Ich hab voll Lust, das wieder zu spielen!“ Chris geht’s genauso, denn beide hatten schon damals große Freude mit dem Titel.

 

Super Stay Forever: Wenige japanische Rollenspiele werden so innig verehrt wie das, welches Fabian und Gunnar im September besprechen. Dabei gehört es nicht zu den ganz großen Hits, sondern galt längere Zeit sogar eher als Geheimtipp. Was macht dieses Spiel so besonders, warum wird es von vielen Spielern so geliebt? Finden wir’s raus!

 

Stay Forever Technik: In der zwölften Folge unseres Technik-Formats nehmen sich Henner und Chris einmal mehr ein einflussreiches Stück PC-Hardware vor: Intels Pentium-Prozessor. Wir erzählen, warum ausgerechnet dieser Chip den PC-Gaming beflügelte, was unter seiner Haube steckt und wie Intel überhaupt zu dem Hardware-Giganten aufsteigen konnte, als den wir die Firma heute kennen. Und ja, auch der berüchtigte Pentium-Divisionsfehler wird einen Auftritt haben.


Unterstützer-Inhalte im September

 

Gunnar und Chris sind in Urlaub! Wer’s noch nicht gehört hat: In unserer aktuellen Folge Wo wir stehen und wie es weitergeht kündigen die beiden ihre erschreckende Mini-Auszeit an. Aber was passiert im September auf unseren Unterstützer-Kanälen, wenn Chris und Gunnar nicht da sind? Das liegt in den treuen, vertrauenswürdigen Händen des Rests des Teams, also Fabian, Rahel, Henner, Christian und Christopher. Die fünf werden doch sicher kein Schindluder mit den fünf September-Sendeplätzen treiben und SELTSAME EIGENE FORMATE ausprobieren …?

 

Stay Forever anderswo

 

Gunnar anderswo: Die Kollegen von Ewig Gestern feiern ihre 100. Folge mit einem Quiz. Zu dem Anlass durften andere Podcaster Fragen einreichen; im illustren Kreis der Fragesteller befindet sich neben dem Nerdwelten-Team, Paul von Game Not Over oder Manu von Insert Moin auch Gunnar. Zwei knallharte Wissensprüfungen hat er aus seinem bodenlosen Beutel gezogen – werden die vier Retroboys sich daran die Zähne ausbeißen …?

 

Rahel anderswo: Seit August ist Rahel Expertin im frisch gestarteten Podcast Memento Macabre, der die Ausstellung „Tod & Teufel“ im Kunstpalast Düsseldorf rahmend begleitet. Nominell wird der Podcast von einem Duo moderiert, nämlich Jamie Ellrich und Rahel, in der Praxis der ersten beiden Folgen ist das aber eine Rahel-Show: Rahel ordnet Themen aus dem Kosmos des mythologischen Bösen hervorragend vorbereitet und nachvollziehbar beschrieben in die Kulturgeschichte ein. Ein Schwerpunkt liegt dabei darauf, wie Gestalten wie der Teufel oder der Tod personifiziert und mit wandelbaren Bedeutungen aufgeladen wurden. Zwei Episoden sind bereits erschienen, weitere der auf zwölf Teile angelegten Serie sollen im Zwei-Wochen-Takt folgen.

 

Paul anderswo: Unser Grafiker Paul hat ein eigenes Podcast-Projekt aus der Taufe gehoben: Zusammen mit seinem Freund Markus spricht er in Cauley & MacCulkin über das Aufwachsen und die Popkultur der 90er-Jahre. Die Chemie zwischen den beiden funktioniert wunderbar, beide haben sich gründlich vorbereitet und führen sowohl kenntnisreich als auch unterhaltsam frotzelnd durch ihre Themen. Drei Folgen sind bereits erschienen, die machen Lust auf mehr!

 

Das Stay-Forever-Hauptquartier versinkt in Büchern

 

Kürzlich nahm Gunnar die (bisher) größte Bücherlieferung an, die das SFHQ in Karlsruhe je sah. Die Regale, der Boden, die Tische, sogar Gunnar selbst ächzt unter den Lasten hunderter Retrogaming-Bücher, die das Stay-Forever-Reich ausfüllen, so weit das Auge blickt. 

 

Gunnar nach der Auspack-Schlacht.

 

Diese Bücher, die zum großen Teil vom renommierten Verlag Bitmap Books stammen, hortet Gunnar natürlich nicht wie ein Drache seine Schätze, sondern ist begierig, das Wissen seiner Wälzer zu teilen. Deshalb gibt es alle diese Bücher in unserem Shop auf retroshirty.com zu fairen Preisen zu erwerben – Gunnar has wares if you have coin.

 

 

Das Highlight der kürzlichen Bücherlieferung ist das neue Meisterwerk von Bitmap Books, The Art of the Box. Wie der Titel vermuten lässt, behandelt das Buch die schönsten Spielecover, die die Big Boxen vergangener Zeiten zierten. Vor den Tagen des digitalen Marketings beschränkte sich die einzige Werbequelle für ein Spiel oft auf die Verpackung, die in den Regalen der Spieleläden zu sehen war. Da die frühen Spielegrafiken wenig visuell Interessantes boten, war es Aufgabe der Verpackung, fesselnde Bilder von Weltraumschlachten, mittelalterlichen Rittern und Zauberern, explosiven Militäroperationen und monströsen außerirdischen Kreaturen zu zaubern. Und jedes Cover musste von einem Künstler mit traditionellen Medien handgefertigt werden – oft mit einer kurzen Frist und den vagesten Vorgaben.

Auf über 560 Seiten beleuchtet The Art of the Box die Biographien von 26 der bekanntesten Cover-Künstler, vergisst sich dabei jedoch nicht in langen Textpassagen, sondern präsentiert den Inhalt mit einem Fokus auf die grafische Darstellung mit wunderschönen Bilderstrecken und ganzseitigen Abbildungen, wie es schon so viele Bitmap-Bücher meisterhaft getan haben. 

 

 

Doch auch an Klassikern mangelt es nicht im Sortiment.

Erst dieses Jahr erschienen, wurde I'M TOO YOUNG TO DIE zum Verkaufsschlager und ultimativen Handbuch für Ego-Shooter von 1992 bis 2002. Doom, Quake, Half-Life – dieses Buch nimmt keine Gefangenen.

Großer Klassiker neu aufgelegt: Das CRPG Book bietet mit fast 700 Seiten die wohl umfassendste Betrachtung der Rollenspiel-Geschichte. Bei uns im Shop ist jetzt die erweiterte Edition samt PDF verfügbar, falls der Rucksack im Zug mal nicht 100 Kilo wiegen soll.

Das am häufigsten von uns nachbestellte Buch ist sicherlich The Art of Point-and-Click Adventure Games. Wie am Fließband packen wir die mittlerweile dritte Auflage des Adventure-Buchs ein, um die Weisheiten solcher Größen wie Al Lowe, Éric Chahi, Ron Gilbert und Tim Schafer in der Republik (und darüber hinaus) zu verteilen.

Und jetzt: Auf zum digitalen Retro-Shop, in dem wir natürlich nicht nur Bücher, sondern alles, was das Herz begehrt, auf Lager haben. Stay-Forever-Merch, Tassen, T-Shirts, Pullis (es wird kälter!) ... wir haben es!

 

 

Christians Neuzugänge

Christian bekommt ein indiziertes Spiel in die Sammlung, von dem er vorher noch nie gehört hatte.

Sechs sogenannte „Botschafter“, eigentlich nichts weiter als milliardenschwere Industriekapitäne, streben die Weltherrschaft an. Ebenso das abgrundtiefböse Wesen „Martinet". Um sein Ziel vor den Konzernchefs zu erreichen, stampft es eine Arme willenloser Marionetten, „Meat Puppets“, aus dem Boden. Eine dieser Meat Puppets ist Lotos, die Protagonistin unseres Spiels. Sie wurde durch eine mit flüssigem Sprengstoff präparierte Vorspeise in den Dienst des Martinet gezwungen. Verweigert Lotus nun die Zusammenarbeit, zündet Martinet das explosive Material und zerlegt unsere Heldin in unappetitliche Einzelteile. Damit ist Lotos gezwungen, jeden noch schädlichen Auftrag zu erledigen. Der aktuelle, bei dem der Spieler ihr behilflich sein soll, lautet: Töte alle sechs Firmenbosse!

Diese hübsche Kurzbeschreibung stammt nicht von mir, sondern vom Stadtjugendamt Bochum. Das nämlich beantragt im August 1997, das unlängst erschienene Actionspiel Meat Puppet bitte umgehend zu indizieren. Der zuständigen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) scheint der Passus gut gefallen zu haben, jedenfalls wird er in die Urteilsbegründung übernommen.

Die Causa Meat Puppet geht bei der BPjS direkt ins Dreiergremium statt in das übliche Zwölfergremium, also ins beschleunigte Verfahren. Das ist für Medien reserviert, die schon nach erstem Augenschein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit indiziert werden dürften. Der deutsche Vertrieb des Spiels, Softgold, erhebt dagegen keinen Einspruch, im Gegenteil: Er ruft Mitte Dezember schon mal vorsorglich alle Exemplare aus dem Handel zurück.
Was für eine Gewaltbombe ist uns denn da ins CD-Laufwerk gerutscht?

 

 

„Meat Puppet ist eine Kreuzung aus La Femme Nikita und Blade Runner“, lässt sich David Sears 1997 in Preview-Artikeln zitieren. Sears ist einer der beiden Producer des Spiels, der andere heißt Max Chapman. Sears und Chapman lernen sich Mitte der 90er in Irvine, Kalifornien kennen, einem Vorort von Los Angeles. Dort sitzt die US-Dependance von Virgin Interactive, wo beide arbeiten.

Sears kommt eigentlich aus der Spielepresse, er hat nach dem Anglistik-Studium ein paar Jahre für die US-Zeitschrift Compute geschrieben. Einen Fuß in die Tür zum Spielemachen kriegt er, als er Harlan Ellison dabei unterstützen darf, ein erstes Skript für dessen Computerspiel-Umsetzung von I Have No Mouth and I Must Scream zu schreiben. Danach wird er bei Virgin Interactive als Producer eingestellt. 

Max Chapman startet seine Karriere als Konzeptzeichner beim Spezialeffekte-Studio Sony Imageworks, bevor er als Art Director zu Virgin wechselt. Dort arbeitet er mit Sears längere Zeit an einem Actionspiel, das letztendlich eingestellt wird. Frustriert kehren die beiden Virgin den Rücken und finden im Mai 1996 eine neue Heimat: Kronos Digital Entertainment.
Kronos ist eines der vielen Spezialeffekt-Studios, die in den 90ern im Zuge der digitalen Revolution aus dem Boden der Film-Metropole Los Angeles schießen. Gegründet wurde Kronos 1992 von Stanley Liu. Der findet seinen ersten großen Kunden in der Spieleindustrie: 1993 darf Kronos für Sierra Online ein neues, siebenminütiges Intro für die CD-Version des Kassenschlagers King’s Quest 6 rendern, anschließend Grafiken und Animationen für die Mega-Produktion Phantasmagoria beisteuern. Um selbst in die Spieleproduktion einzusteigen, nimmt Kronos 1995 den Auftrag des japanischen Publishers Vic Tokai an, in mörderischen sechs Monaten ein 3D-Prügelspiel für die Playstation rauszukloppen, deren US-Start im September 1995 ansteht. So entsteht Criticom, das zwar erwartbar ziemlicher Schrott ist, sich aber trotzdem ordentlich verkauft, weil es in den USA ein paar Wochen vor Tekken im Handel steht. 

 

Kronos’ Playstation-Debut: Criticom

 

Mit diesem Rückenwind wandelt sich Kronos zum reinen Spiele-Entwickler. Es wird noch bis zum Jahr 2000 dauern, bis die Firma mit dem Action-Comic Fear Effect endlich einen Hit landet (und 2002 auch schon wieder schließen muss, nachdem die Finanzierung eines dritten Fear Effect-Teils gescheitert ist). Vorher entstehen weitere 3D-Prügelspiele, denn als Playstation-Entwickler spezialisiert sich Kronos logischerweise auf 3D-Grafik.

Und dann ist da Meat Puppet. Ein 2D-Spiel. Für den PC.

Diese Kuriosität im Kronos-Portfolio landet dort wohl schon 1995, als das Studio nach dem ersten eigenen Projekt sucht. David Sears und Max Chapman haben sich noch bei Virgin eine eigene Welt ausgedacht: Eine brutale Cyberpunk-Zukunft, regiert von grotesk entstellten Konzernführern, die im Streben nach Macht und Unsterblichkeit bizarre Kreaturen und Maschinen erschaffen. Darin die zynische Heldin Lotus, Auftragsmörderin wider Willen, die im hautengen Superanzug Leichen und rotzige Sprüche in ungefähr gleicher Frequenz produziert. Das Spielkonzept schauen sie sich von Origins Mitte 1995 erschienenen Überraschungshit Crusader: No Remorse ab, einer Mischung aus Dauerballern und einfachen Rätseln in isometrischer Grafik. Dieses Projekt platzieren sie, vermutlich noch als Auftragsproduktion via Virgin Interactive, bei Kronos. Als Virgin 1996 den Stöpsel zieht, ist Meat Puppet schon zu weit gediehen, um es in den Müll zu kloppen. Also macht Kronos samt Sears und Chapman auf eigene Rechnung weiter. Ein neuer Publisher findet sich in Playmates Interactive, der kurzlebigen Games-Sparte des US-Spielzeugherstellers Playmates. Die Interactive-Tochter wurde hauptsächlich dafür bekannt, dass sie Shinys Earthworm Jim-Spiele in die Läden gestellt hat.

 

Lotos Abstraction, raubeinige Protagonistin von Meat Puppet

 

Es dauert dann noch ein Jahr, aber im Juli 1997 erscheint Meat Puppet tatsächlich. Und schafft es damit just in die Erstausgabe der GameStar, in der Peter Steinlechner der „schönen, aber schwierig zu steuernden“ isometrischen Ballerei eine Spielspaß-Wertung von 66% bescheinigt. Das Testmuster stammt vom deutschen Vertrieb Softgold, der Meat Puppet hierzulande zwar in deutscher Packung, aber unübersetzt veröffentlicht. Zuvor hatte die USK ihren Segen gegeben: Freigabe ab 16 Jahren. Allerdings war das zu der Zeit noch nicht bindend für die Bundesprüfstelle, und so befasst sich im Herbst 1997 das Dreiergremium mit der Frage, ob Meat Puppet nicht doch besser indiziert werden sollte. Denn das Spiel hat, wie Peter Steinlechner lobt, zwar „liebevoll animierte Gegner-Sprites“, nur beziehen sich diese liebevollen Animationen vor allem auf ihr Ableben.

 

Lotos verbrennt Kinder mit dem Flammenwerfer - das findet die BPjS uncool. 

 

Die BPjS beschreibt das in ihrem Urteil in lebendiger Prosa: Der Beschuss aus dem Maschinengewehr habe zum Beispiel bei einigen Gegnern „lediglich ein verhaltenes Absondern rosafarbener Blutpixel zufolge, wohingegen Brigadiers förmlich in ebenfalls rosafarbenen Gewebebrei zerplatzen.“ Ungleich anschaulicher inszeniere das Spiel die Folgen des Flammenwerfergebrauches: „Die getroffene Figur torkelt von Flammen erfasst unter markerschütternden Schmerzensschreien über den Bildschirm, um schließlich als Häuflein Asche zu enden.“ Das Dreiergremium erkennt die technische Kompetenz und grafische Qualität des Spiels durchaus an, schreibt ihm atmosphärische Dichte zu und spricht ihm den Status als Kunstwerk nicht ab. Jedoch sei es die „realitätsnahe Aufbereitung der Tötungsanimationen, welche die jugendgefährdende Wirkung auch für den unbefangenen Betrachter zweifelsfrei erkennbar“ mache. Die fortlaufende Aufforderung zu Tötungshandlungen, an Jugendliche gerichtet, ließe nur die Indizierung zu. Die erfolgt mit Entscheidung 5246 am 22. Dezember 1997.

 

Der Indizierungsentscheid der BPjS vom 22.12.1997

 

Nichts anderes war zu erwarten, schließlich standen die beiden Crusader-Spiele in Deutschland schon auf dem Index. Deren DNA steckt auch in Meat Puppet, allerdings weitergesponnen. Wo Crusader noch eine weitgehend lineare Ballerei ist, öffnet Meat Puppet eine zusammenhängende Welt, deren teils enorm weitläufige Schauplätze durch die Straßen eines kleinen Hubs und eine verwinkelte Kanalisation verbunden sind und in deren vertikalen Räumen die gelenkige Heldin Lotus ähnlich viel mit Springen beschäftigt ist wie mit Schießen. Und wo Crusader seine biedere Sci-Fi-Welt nüchtern präsentiert, atmet Meat Puppet den rotzigen Charme der 90er-Jahre-Comics: Hier wird viel geflucht, achtlos getötet, alles ist überlebensgroß, egdy und schwarzhumorig übersteigert. Zu den Gegnern gehören genetisch gezüchtete Wasserkopf-Kinder, die chirurgischen Sägen schwingen, in Nährstofftanks schwimmende Föten steuern Flammenwerfer-Minipanzer, zu den Bossgegnern gehört ein Greis im Lebenserhaltungs-Sarkophag, aus dessen Fußende Fäkalienbrei tropft. Diese geschmacklose Überspitzung schlägt sich natürlich auch in den Toden nieder, die als visuelle Belohnung auf die Spielenden einprasseln; da schieben wir ein Riesenhirn durch eine Klinik, um es in einem Schredder zu zerschnetzeln, da schleppen sich die Oberkörper zerteilter Cyborgs blutend und wild schießend auf dem Boden herum, da zerplatzen kinderartige Gegner zu rosa Klümpchensoße.

Das alles ist, so makaber es klingt, in der Tat bildhübsch. Meat Puppet ist tonal ein Kind seiner Zeit und somit heute schmerzhaft cringy, die Protagonistin Lotos und ihr KI-Sidekick Dumaine schwer zu ertragen. Aber visuell brilliert das Spiel mit flüssigen Animationen, ausgesprochen stimmungsvollen Art-Deco-Kulissen und einem an Syndicate erinnernden, düster-entsättigten Hi-Res-Look. Das macht Meat Puppet im Jahr 1997 zu einem eindrucksvollen Artefakt der untergehenden 2D-Ära.

 

 

Und auch wenn die durchwachsenen Kritiken der Zeit es nicht vermuten lassen: Es ist sogar ein ganz manierliches Spiel, dem in erster Linie die ärgerlich missglückte Steuerung im Weg steht. Wenn man deren Unzulänglichkeit akzeptiert und das unerklärliche Zeitlimit der ersten Mission überwindet, dann entfaltet die zynische Welt mit der Zeit einen skurrilen Charme. Das flotte, faire Spiel leistet überraschend wenig Widerstand, sodass sich Meat Puppet recht locker wegspielt. Ich hatte eigentlich nur vor, mal kurz reinzuspielen; zu meiner Verblüffung setzte nach dem ersten Schmerz der „Ach, ein Stündchen geht noch“-Effekt ein, und irgendwann war ich schließlich durch. Meat Puppet ist weder Meisterwerk noch Geheimtipp, aber für Crusader-Fans ein völlig okayer Happen.

Und weil sich die Welt weitergedreht hat, ist Meat Puppet seit 2022 auch nicht mehr indiziert. Inzwischen kann man das Spiel in Deutschland wieder regulär kaufen, bei Steam oder GOG. Für David Sears und Max Chapman kommt das allerdings zu spät: Die hätten nämlich gern noch einen Nachfolger gemacht. 1997 hatten sie schon mal verlautbart, dass sich Lotos darin als Prostituierte entpuppt hätte, die nun ihren Zuhälter töten will. Auf diesen Knaller müssen wir schweren Herzens verzichten.

 

 

 

Neuauflagen zwischen Genie und Wahnsinn

Zwei Videospiel-Klassiker sind dieser Tage in neuen Versionen erschienen. Was zunächst nach einer schönen Sache klingt, ist ein Musterbeispiel für die unterschiedliche Klasse, die solche Neuauflagen erreichen können.

Rockstar Games macht nicht viele Spiele. Aber wenn doch mal eins erscheint, wird es mit einer gewissen Zuverlässigkeit ein Hit für die Ewigkeit. Um den wartenden Massen auch zwischen frischen Spielen was hinzuwerfen, sind Neuauflagen aus dem bestehenden Portfolio ein beliebtes Mittel, das auch Rockstar für sich entdeckt hat. Die 2021 veröffentlichte Definitive Edition von Grand Theft Auto: The Trilogy geriet allerdings zu einer Katastrophe. Die vom zuvor auf Mobile-Games spezialisierten Studio Grove Street Games hingeschluderte Zusammenstellung aus GTA 3, Vice City und San Andreas fiel bei Kritikern komplett durch, Patches sorgten nur unzureichend für Besserung. 

Auch da sich die dreiste Trilogie trotz ihrer Schwächen sehr gut verkauft hat, scheint Rockstar Games aber unbeirrt, was wenig ambitionierte Zweitverwertungen angeht – der Beweis wurde gerade durch eine Neuveröffentlichung von Red Dead Redemption (Urversion 2010) erbracht. Während Fans sich lange auf eine Highend-Version des Wild-West-Actioners für PC, PlayStation 5 und Xbox Series X gefreut haben, hat Rockstar Games das Spiel am 17. August – nur zehn Tage nach seiner Ankündigung – für PlayStation 4 und Switch veröffentlicht. Ja, für die zehn Jahre alte PlayStation 4 und Nintendos Hybrid-Konsole, die – bei aller Liebe für ihre Stärken – 2017 mit schon damals semistarker Hardware gestartet ist. Die PlayStation-4-Version läuft zwar auf der PlayStation 5, die offizielle Deklaration ist aber ein Statement: Erwartet doch bitte kein Grafikwunder, das ist ein Spiel für die letzte Hardware-Generation.

 

Red Dead Redemption in der „neuen“ Switch-Version.

 

So präsentiert sich diese Version dann auch: Selbst auf einer PlayStation 5 läuft Red Dead Redemption nur mit 30 Bildern pro Sekunde, zumindest 4K-Auflösung wird geboten. Die Switch schafft diese Auflösung systembedingt nicht, auch die 30 Bilder werden hier nicht immer gehalten. Dennoch ist Red Dead Redemption in dieser Fassung immer noch ein gutes Spiel, auch weil das englische Studio Double Eleven gar nicht erst versucht hat, wie bei der Definitive Edition der GTA-Trilogie irgendwas groß neu oder anders zu machen. Man bekommt das 13 Jahre alte Spiel – ohne Multiplayer und sonstige Online-Features – in minimal aufgehübschter Form, zahlt dafür aber eben 50 Euro.

Dass es keine Xbox-Version gibt, ist keine bewusste Rockstar-Entscheidung gegen die Microsoft-Plattform: Hier läuft die alte Xbox-360-Version schlicht auch auf den aktuellen Konsolen, sodass keine Notwendigkeit für eine Neuauflage besteht, an der letztlich kaum etwas verändert wäre. Nur gibt es die 360-Fassung schon ab etwa zehn Euro zu kaufen, was den gewählten Preispunkt auf PlayStation und Switch noch fragwürdiger erscheinen lässt.

 

Für die Xbox ist Red Dead Redemption sehr günstig zu haben.

 

Das zweite große Comeback des Augusts feierte Quake 2 (Urversion 1997), das Bethesda als Shadow Drop im Rahmen der QuakeCon am 10. August veröffentlicht hat. Die von den Nightdive Studios verantwortete Neuauflage ist ein Gegenentwurf zu Rockstars Weg bei Red Dead Redemption. Das beginnt schon beim Preis: Wer Quake 2 am PC bereits besaß, erhält die neue Fassung durch ein kostenloses Update. Außerdem ist es Teil des Game Pass für PC und Xbox. Wer davon nicht profitiert, auch weil er vielleicht auf PlayStation oder Switch spielt, zahlt zehn Euro. Das ist ein mehr als fairer Preis, gerade im Vergleich zu den 50 Euro von Red Dead Redemption. Natürlich dürfen Neuauflagen von neueren Spielen mehr kosten als von älteren Titeln – es sollte aber nicht der fünffache Preis sein, wenn man zudem fast nichts überarbeitet UND das Original sogar noch inhaltlich beschneidet.

Quake 2 glänzt auch in dieser Hinsicht. Statt Features und Inhalte zu streichen, wurde extrem viel reingepackt: die Missionspakete The Reckoning und Ground Zero, eine gänzlich neue Erweiterung namens Call of the Machine, kompetitive und kooperative Mehrspieler-Modi sowie Crossplay. Letzteres rentiert sich, da das neue Quake 2 für so viele Systeme erschienen ist: PC, PlayStation 4 und 5, Xbox Series S und X, Xbox One sowie Nintendo Switch.

 

Quake 2 bringt sehr viele Inhalte für Solo-Spieler mit.

 

Natürlich sieht man dem Spiel sein Alter an. Höhere Auflösungen, bessere Modelle und Animationen sowie Details wie optionales Anti-Aliasing sind aber große Gewinne. Spielerisch ist Quake 2 gut wie eh und je. Das bewusst simple, schnelle und schnörkellose Action-Feuerwerk erinnert positiv an die zwei modernen Doom-Spiele von 2016 und 2020. Persönlich bin ich eher Fan der mysteriösen Welt, Ritter und Monster des ersten Quake, das Science-Fiction-Szenario von Quake 2 finde ich weniger originell und interessant. Dennoch ist Quake 2 ein Klassiker des Genres, und man MUSS es spätestens in seiner Neuauflage nachholen, wenn man es noch nicht kennt. Auf dass auch Rockstar Games sich das mal anschauen möge.

 

Viele Feinde, viel Action, viel Krachbumm – simpel und gut.

 

 

Retronews

Christopher hat für euch die Internet-Archive durchforstet und präsentiert aktuelle Ereignisse und Veröffentlichungen aus der Welt der Retro-Spiele.

Fatal Fury geht weiter! Als Fabian und Gunnar in SSF #35 über Garou: Mark of the Wolves sprachen, war dies der achte und letzte Eintrag in der ehrwürdigen Fatal-Fury-Serie. Garou erschien 1999 für das Neo Geo, die gleiche Arcade- und Heimkonsolen-Plattform, auf der auch schon 1991 der legendäre erste Titel der Reihe veröffentlicht wurde, Fatal Fury: King of Fighters. Jetzt kündigt sich eine Fortsetzung der Fatal-Fury-Fighting-Games an. Im Rahmen des Turniers „Evo 2022“ deutete Publisher SNK bereits letztes Jahr eine Fortsetzung der Serie an, jetzt wurde dies in einem neuen Trailer bestätigt – sogar einen Namen hat das neue Spiel jetzt.

 

 

Fatal Fury: City of the Wolves präsentiert sich im neuen Trailer mit einer ambitionierten Aussage: „Legends never die. They get better.“ In einer modernisierten Grafik zeigen sich altbekannte Helden der Reihe mit ihren kultigen Moves und dazu passenden voice lines. Wiederkehrende Figuren im Trailer sind Rock, Andy, Mai, B.Jenet, Billy, Marco/Ryo, Hotaru, Tizoc, Kain und Terry. Ein Veröffentlichungsdatum verrät der Trailer nicht, jedoch sei das Spiel noch in Entwicklung – es ist also wohl nicht mit einem Release vor Jahresende zu rechnen.

 


 

Gothic auf Nintendo Switch: Auch wenn die epische Stay-Forever-Erzählung zu Gothic bisher noch ausgeblieben ist, können Fans des rustikalen Rollenspiels, ursprünglich im Jahr 2001 von Piranha Bytes veröffentlicht, den ikonischen ersten Teil der Reihe dieses Jahr neu erleben. Das liegt nicht am seit ewiger Zeit in Entwicklung befindlichen PC-Remake, sondern an der anstehenden Portierung für Nintendos Hybrid-Konsole Switch. Der Port stammt von THQ Nordic, die bereits einen Wälzer an Bugfixes und Verbesserungen rausgegeben haben. Sie schreiben auch: „Bei dieser Portierung handelt es sich um den ursprünglichen Spielcode, kein Remastering und keine Neuauflage, sondern die Portierung des ursprünglichen Codes auf die Nintendo Switch.“ 

 

 

Allein die Lektüre der vermeintlichen Fehlerbehebungen dürfte gestandene Gothic-Spieler an unschuldigere Zeiten erinnern, als allgegenwärtige Bugs fast schon zum Narrativ des Rollenspiels dazugehörten. 

Gothic Classic Switch erscheint am 28. September 2023. Wer bis zum 27.9. im Nintendo-eshop vorbestellt, kann von dem günstigeren Preis von 23,99€ profitieren, danach geht das Spiel für 29,99€ in den Handel. Auch bei THQ ist das Spiel erhältlich.

 


 

Interaktive Doku zu Karateka: Digital Eclipse ist ein Entwicklerstudio, das sich auf die Erhaltung von Videospielklassikern spezialisiert. Mit der „Gold Master Series“ möchte das Studio nun diverse Spiele in einer innovativen Mischung aus Dokumentation und Spiel neu aufbereiten und ihre vollständige Geschichte in einem definitiven Paket erhalten. Den ersten Schritt in der Serie macht Karateka, der 1984 erschienene Action-Klassiker von Jordan Mechner, der nach diesem ersten Spiel als der Vater des Prince of Persia Videospielgeschichte schreiben würde.

 

 

The Making of Karateka möchte abschließend die Geschichte des Spiels erzählen und kommt somit umfangreich daher: Enthalten sind Design-Dokumente, spielbare Prototypen, Video-Features und interaktive Zeitleisten, in denen die Betrachter die Entwicklung des Spiels im Detail nachverfolgen können.

 

 

Zudem sind zwei neue Spiele im Paket enthalten: Karateka Remastered ist eine brandneue Version des Originalspiels mit neuen Inhalten, Kommentaren und Achievements; noch spannender ist jedoch Deathbounce: Rebounded, eine von Mechners frühesten Entwickler-Übungen. Diesen Asteroids-Klon schickte er an Broderbund, die das Spiel jedoch ablehnten. Rebounded ist nicht das Originalspiel von Mechner, basiert jedoch auf diesem. Nach der Ablehnung begriff Jordan Mechner, dass er eigene Spiele entwickeln sollte, keine Klone – Karateka erschien zwei Jahre später über Broderbund.

The Making of Karateka ist für 19,50€ bei Steam erhältlich.

 


 

Atari 2600+ spielt Original-Cartridges: Atari veröffentlicht eine modernisierte Version seiner 2600-Konsole. Diese aktualisierte Version, die den Namen Atari 2600+ trägt, wird am 17. November veröffentlicht und für 120 Euro erhältlich sein. Beim Kauf der überarbeiteten Konsole ist ein authentischer Nachbau des CX40+-Joysticks sowie eine Sammlung von zehn Spielen enthalten.

 

 

Auch wenn das 2600+ kleiner als das VCS-Original von 1977 ausfällt, bleibt das charakteristische Holzvertäfelungs-Design erhalten, ebenso der Einschub für die Cartridges. Dieser Slot ist kompatibel mit den ursprünglichen Spielmodulen, die für den Atari 2600 und den Atari 7800 entwickelt wurden.

Die zehn enthaltenen Spiele sind Adventure, Combat, Dodge 'Em, Haunted House, Maze Craze, Missile Command, Realsports Volleyball, Surround, Video Pinball und Yars' Revenge.

Atari plant auch den Verkauf einer weiteren Cartridge mit vier Spielen, die zusammen mit einem CX-30 Paddle Controller für 35 Euro angeboten wird. Original-Controller werden ebenfalls unterstützt. In technischer Hinsicht wurde das VCS, wie die Konsole ursprünglich hieß, aufgewertet: Sie kann nun ihr Bildsignal über HDMI ausgeben und unterstützt verschiedene Bildschirmauflösungen. Die Spiele werden über den System-on-a-Chip Rockchip 3128 emuliert, die Konsole verfügt über 256 MByte Arbeitsspeicher und 256 MByte Speicherplatz.

 


 

Die Sache mit dem WipEout-Quellcode: Im letzten Insider habe ich an dieser Stelle über eine rechtlich fragwürdige Portierung von WipEout mithilfe des 2022 geleakten Quellcodes geschrieben. Auch der Entwickler Dominic Szablewski hat sich den Quellcode angeschaut und zunächst mal einen absolut legalen Rewrite des Spiels verfasst. Viel interessanter ist jedoch der dazugehörige Artikel, in dem Dominic den Quellcode der Entwickler durchgeht und nicht gerade freundlich kommentiert. In seinem Dokument berichtet er halb von seinem Neuschreiben, halb davon, in was für einem schlimmen Zustand der ursprüngliche Code sei. Eine seiner Überschriften lautet „Compiling a pile of garbage.“ Dennoch zollt er den Entwicklern Respekt:

„Der Code mag nicht schön sein, aber das Ergebnis rechtfertigt das alles. Es war ein Launch-Titel für die PSX und hat auch heute noch Bestand. Die Entwickler sahen sich mit den Unbekannten einer noch nie dagewesenen Hardware konfrontiert, und 3D war eine völlig neue Dimension, die es zu verstehen galt. Das haben sie großartig gemacht.“

Wer also einiges über PlayStation-Code lernen möchte, sollte sich den kurzweiligen Artikel anschauen, der dank des lockeren Stils und der Seitenhiebe auch für Laien unterhaltsam ist.

 

 

 

Zeitreise

Ab in die Zeitmaschine! Wir reisen in die Vergangenheit und schauen uns an, welche Spiele diesen Monat Geburtstag feiern.

Vor 20 Jahren ... (September 2003)

 

Es war einmal vor langer Zeit (24 Jahre) in einer weit, weit entfernten Galaxis (San Francisco, USA und Edmonton, Canada) ... als LucasArts beim Baldur's Gate-Entwicklerstudio BioWare anklopfte und fragte, ob die nicht Interesse hätten, ein Star Wars-Rollenspiel zu entwickeln. LucasArts gab BioWare zwei Szenarien zur Auswahl: Ein Spiel zum anstehenden Film Angriff der Klonkrieger, dem zweiten Film der Prequel-Trilogie, oder ein Spiel, das 4000 Jahre vor den Prequels spielt. BioWare entschied sich – rückblickend – korrekterweise für die letztere Variante. Doch auch ohne das Wissen um die Qualität der Prequel-Filme war es die logische Wahl für BioWare: Anstelle sich durch die Handlung der Filme einzuschränken, konnten sie eine neue Geschichte und neue Figuren auf Basis einer gigantischen Franchise erschaffen, was schon zuvor mit Baldur's Gate funktioniert hatte. Die ersten Gespräche zwischen LucasArts und BioWare fanden 1999 statt, 2001 wurde auf der E3 das kommende Spiel enthüllt: Knights of the Old Republic. Die US-amerikanische Kundschaft hielt das Spiel schon im Juli in den Händen, deutsche Xbox-Spieler mussten sich bis September gedulden (was genau 20 Jahre her ist), PC-Spieler sogar bis Dezember.

 

BioWare 1997 – dieses Team entwickelte Baldur's Gate.

 

Die Erfahrungen aus Baldur's Gate sollten KOTOR zu einem geradlinigeren Spielerlebnis verhelfen. LucasArts' Mike Gallo sagte, dass sie eine Spieldauer von etwa sechzig Stunden anstrebten:

"Baldur's Gate hatte eine Spieldauer von 100 Stunden oder mehr. Baldur's Gate 2 war 200 Stunden lang ... Bei Knights of the Old Republic wird die Spielzeit geringer. Wir haben so viele Gebiete, die wir bauen – Welten, Raumschiffe, solche Dinge, die es zu erkunden gilt –, also haben wir eine Menge Gameplay."

Auch im Kampfsystem von KOTOR steckt noch ein Stück Baldur's Gate: Kampfaktionen werden nach den Regeln von Dungeons & Dragons berechnet. Diese werden zwar nicht direkt auf dem Bildschirm angezeigt, aber die vollständige Aufschlüsselung für jede Aktion (einschließlich Würfelwürfe und Modifikatoren) ist über ein Menü zugänglich.

 

Im Kampf ist man näher dabei als in Baldur's Gate.

 

Das Herzstück von KOTOR ist das Gesinnungs-System, eine dynamische Reflexion der Star-Wars-typischen Dichotomie zwischen Gut und Böse. Großzügigkeit und Uneigennützigkeit führen zur hellen Seite, während selbstsüchtige oder gewalttätige Handlungen den Spielercharakter zur dunklen Seite führen und sogar das Aussehen der Spielfigur verändern. Diese Entscheidungen gipfelten im Plot-Twist-Höhepunkt des Spiels – würden die Spieler ihr dunkles Vermächtnis anerkennen oder sich der hellen Seite der Macht zuwenden? Im Jahr 2008 wurde der Plot Twist in KOTOR auf Platz zwei der Game Informer-Liste der zehn besten Videospiel-Plot-Twists aller Zeiten gewählt.

Obwohl KOTOR im Star Wars Expanded Universe spielt (also unabhängig von den Hauptfilmen), hinterließ es einen bleibenden Einfluss auf das kanonische Universum. Charaktere wie Darth Revan und Orte wie Korriban fanden so großen Anklang, dass sie ihren Weg in die offiziellen Star Wars-Medien fanden. In den Serien The Clone Wars und Rebels werden Bösewicht Darth Revan und der Sith-Planet Malachor aus KOTOR referenziert, 2019 hieß es sogar, ein auf der Handlung des Spiels basierender Film sei in Entwicklung.

 

Dialoge führen zur hellen oder zur dunklen Seite der Macht.

 


 

Vor 25 Jahren ... (September 1998)

 

Mark Cerny fiel irgendwann 1997 auf, dass die PlayStation nicht noch ein weiteres düsteres Spiel brauchte. Was dem Lineup der Konsole fehlte, vor allem im Vergleich mit dem großen Konkurrenten Nintendo, waren Spiele, die einen größeren Massenmarkt ansprachen. Nintendo grub der PlayStation die jüngere Demografie ab. Das neue Spiel vom jungen Studio Insomniac Games, das 1996 mit Disruptor einen kommerziellen Flop – aber Kritikerliebling – schuf, sollte das ändern. Disruptor war ein grau-grüner Sci-Fi-Shooter, und auch das nächste Spiel von Insomniac sollte kein farbenfrohes Nintendo-Werk werden: Drachen waren das Thema, eine dunkle Fantasy-Welt, inspiriert vom Dennis-Quaid-Film Dragonheart. Das sagte Mark Cerny, damaligem Produzenten und Manager bei Universal, nicht zu. Es musste eine Figur her, die Kinder wieder zur PlayStation locken würde. Anstelle eines erwachsenen Drachentöter-Spiels wurden die Spieler nun selbst zu einem Drachen, der mehr an ein Plüschtier als Echse erinnerte: Spyro war geboren. 

 

 

Was Nintendo mit seinem 3D-Plattformer-Meisterwerk Super Mario 64 auf dem N64 vorgelegt hatte, wollten Sony und Insomniac auf der PlayStation reproduzieren: Genau wie der Klempner hüpft und kämpft sich Spyro durch weitläufige 3D-Areale und eine farbenfrohe, actionreiche Welt. 

Eine Welt, die zum Erkunden einlud. Das Spiel wurde 1998 für seine Grafik gelobt, und trotz aufwändiger 3D-Grafik litt Spyro nicht unter einer Spielwelt, die nach wenigen Metern technisch bedingt im Nebel verschwinden musste. Stattdessen konnten die jungen Spieler die Weitsicht der großen Level genießen: In der Ferne war der Horizont übersät mit hohen Türmen, hügeligen Feldern und Bergketten, die es zu erkunden galt. 

 

 

Ohne Mühe abenteuerten sich Spieler durch die ausufernden Level, dabei half die Gleit-Mechanik. Als Drache ist Spyro nicht an das Leben als Fußgänger gebunden, sondern schwingt sich in die Lüfte, um über Felder und Berge zu fliegen. Spyro kann von einem Sprung aus in einen Gleitflug übergehen, wodurch die Bewegungsidentität des Spiels erst zur Geltung kommt. Das Gleiten wird im Grunde überall eingesetzt, vom Überwinden einfacher Hindernisse bis zum Entdecken von Geheimnissen. Insomniac hat sich das alte Motto zu Herzen genommen, dass schon die Bewegung Spaß machen muss. 

Die Story ist so minimalistisch wie irrelevant für das Gameplay von Spyro: Ein Bösewicht hat mit einem Zauberspruch alle Drachen bis auf Spyro in Kristall eingehüllt, Spyro muss sie befreien. Auf dem Weg zu den Drachen und dem Endkampf mit Bösewicht Gnasty Gnorc feuerspeit sich Spyro durch unzählige Gegner, zerstört Kisten und sammelt Edelsteine. Typisches Plattformer-Gameplay, das Insomniac Games meisterhaft umgesetzt haben.

Dementsprechend erntete das Spiel zahlreiche Lorbeeren. Computer and Video Games bezeichnete das Spiel als "das mit Abstand beste 3D-Platformer-Spiel auf der PlayStation", Electronic Gaming Monthly schrieb, dass "Spyro für die PlayStation das ist, was Banjo-Kazooie für den Nintendo 64 ist", IGN lobte es als den spaßigsten 3D-Plattformer seit Crash Bandicoot. Mit den Crash Bandicoot-Entwicklern Naughty Dog waren Insomniac 1998 eng verbunden. Deren Büro befand sich direkt gegenüber dem von Insomniac, die beiden Teams arbeiteten häufig zusammen, spielten frühe Builds der Spiele des jeweils anderen und tauschten später Technologien aus. Infolgedessen war eine Demo von Crash Bandicoot: Warped in Spyro versteckt und umgekehrt. 

 

 


 

Auch wer den Titel Dance Dance Revolution nicht erkennt, der hat das Spiel wahrscheinlich schon einmal gesehen: In keiner Arcade-Szene moderner Popkultur-Filme darf der Dance Dance Revolution (DDR)-Automat fehlen (eine Hommage gibt's zum Beispiel in Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt), ein Tanzpad mit Richtungspfeilen, die nach den auf dem Bildschirm angezeigten Hinweisen betanzt werden müssen – ein Spiel ohne Hand-, aber mit Fußbedienung. Die Spielerinnen und Spieler müssen im Takt der Musik auf die Pfeile treten, wodurch ein interaktives Tanzerlebnis entsteht, das vor allem mit einem Partner im Ko-op oder Duell viel Spaß bereitet. 

 

 Profi-DDR-Spieler würden sich übrigens auf den Haltestangen hinten abstützen, um die Muskeln zu schonen.

 

Tasten zur Musik drücken – DDR ist ein typisches Rhythmus-Spiel. Das war ein Genre, das in den ausgehenden 1990er-Jahren fest in der Hand des DDR-Entwicklers Konami lag, der mit seinen Serien Dance Dance Revolution und Beatmania (die ein Jahr vor DDR ihren Anfang nahm) vor allem in Japan gigantische Erfolge feierte. Die Konsequenz dieses frühen Mega-Erfolgs ist eine Liste von DDR- und Beatmania-Spielen, die sich wie ein Telefonbuch liest: Alleine von Beatmania gibt es 13 Hauptspiele plus Portierungen, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Von der weiterentwickelten Beatmania-IIDX-Reihe existieren 29 Spiele, und von den Pop'n-Music- und Guitar-Freaks-Titeln wollen wir gar nicht erst anfangen.

 

 

Dabei waren es gar nicht Konami, die das Genre der „rhythm games“ in Japan popularisierten. Der 1996 erschienene Titel PaRappa the Rapper vom Entwickler NanaOn-Sha gilt als das erste echte Rhythmusspiel und als eines der ersten musikbasierten Spiele. PaRappa erschien jedoch auf der PlayStation. Den Siegeszug der Rhythmus-Spiele führte Konami in der Arcade an, wo sich weder NanaOn-Sha mit späteren Titeln dem Kampf stellten, noch Enix, die auch nur die PlayStation mit Rhythmus-Titeln mit konventioneller Controller-Steuerung bedienten. Ein Herausforderer stellte sich jedoch Konamis Rhythmus-Macht: Mit Taiko no Tatsujin („Herrscher der Trommeln“, hier neben oben genannten Konami-Spielen im Film Lost in Translation zu sehen) etablierte Namco eine bis heute langlebige Serie, die zahlreiche Heimkonsolen-Ableger und sogar Partnerschaften mit einflussreichen Franchises wie Pokémon, One Piece und Attack on Titan erhielt.

 

Ein Guitar-Freaks-Spieler zieht eine Bewunderin an.

 

Auch Dance Dance Revolution ist heute noch weltweit erfolgreich. Es gibt internationale Turniere, eSport-Organisationen und Streamer, die die schwierigsten, abgedrehtesten Songs wochen- und monatelang üben, bis sie einen raren perfekten „Run“ schaffen. Zum Beispiel iamchris4life, der nicht nur DDR-Weltmeister, sondern auch ehemaliger Guitar Hero-Weltrekordhalter ist. 

Die Musikauswahl von DDR reicht von J-Pop über elektronische Beats bis hin zu klassischen Popsongs, ikonische Songs wie Butterfly von Smile.dk und Paranoia von 180 erlangten Kultstatus. Wie andere Rhythmus-Spiele bieten viele DDR-Titel die Möglichkeit, eigene Songs ins Spiel einzufügen.

Im Jahr 2022 kündigte Konami eine große Erweiterung seiner offiziellen eSports-Organisation an, der BEMANI PRO LEAGUE. DDR wurde als Turnierliga aufgenommen, dazu gehören Sponsorenteams und Spielerdrafts. Mittlerweile ist schon das zweite DDR-Finale der Liga auf YouTube anzuschauen.

 


 

Vor 30 Jahren ... (September 1993)

 

Die Miller-Brüder Rand und Robyn starteten ihre Entwicklerkarriere mit einer Idee: ein interaktives Bilderbuch für die jüngere Generation. Mit dem Namen Cyan, Inc. setzten sie auf Macintosh-Computer und HyperCard, ein Tool, das mit grafischen Slides funktionierte und Informationen ähnlich wie PowerPoint-Präsentationen vermittelte. So konnten sie Geschichten mit simplen Texten und Grafiken erstellen, in denen die Spieler selbst über ihre Abenteuer entscheiden konnten.

 

Die Miller-Brüder 1993: links Robyn, rechts Rand.

 

Der Jungfernflug ihres interaktiven Bilderbuchspiels, The Manhole, erfolgte 1988 per Postversand. Das sollte die Aufmerksamkeit der großen Publisher auf sich ziehen. Es war Activision, die darauf ansprangen und das Spiel 1989 als erstes CD-ROM-Spiel für Mac und PC in den USA herausbrachten. In jener Zeit war das Konzept Nische: ein interaktives Märchenbuch, kein klassisches Adventure, und schon gar nicht etwas, das gestandene Spieler ansprach.

 

The Manhole

 

Die Miller-Brüder arbeiteten an Spielen ähnlicher Art wie The Manhole, aber sie wagten auch einen Vorstoß bei Activision. Sie präsentierten ihnen ein Spielkonzept, das eine weitaus gewaltigere Welt umspannte, eine Welt, die es zu erkunden galt. Eine Welt mit ihrer eigenen Historie und Geschichten und, nicht zu vergessen, kniffligen Rätseln, die es zu knacken galt – ein Ansinnen, das auf ein reiferes Publikum abzielte. Die Idee bekam einen Korb. Erst als ihr japanischer Publisher Sunsoft mit der Bitte auf sie zukam, ein Spiel für eine erwachsene Zielgruppe zu entwickeln, konnten die Miller-Brüder die Idee aus der Schublade ziehen, die sie bei Activision noch als The Gray Summons gepitcht hatten. Auf den im September 1993 millionenweise über die Ladentheken gehenden Spieleschachteln prangte ein anderer Titel: Myst

Rand und Robyn widmeten sich zwei Jahre lang unabhängig von Publishern und Vorgaben der Entstehung von Myst und erweiterten damit den Horizont des Machbaren in der Spielewelt jener Zeit. Mithilfe von Tausenden computergenerierter Bilder, die aus unzähligen 3D-Modellen entstanden, hob sich die Welt von Myst von allem ab, was zuvor gewesen war. Eine Mischung aus Schönheit und surrealer Rätselhaftigkeit – ein Ort, in dem der Spieler die Story vorantreiben musste.

 

3D-Welt mit dickem Rahmen: So präsentierte sich Myst 1993.

 

Die definierende Eigenart von Myst war die grafische Darstellung, die, so eindrucksvoll die Bilder auch waren, fast komplett statisch ablief. Mittels des Mauszeigers klickten Spieler sich durch eine Diashow der Myst-Insel, die keine flüssigen Animationen oder Übergänge bot. In dieser Spielwelt gab es keine Action, keine Gegner und nur wenig Interaktion. Spieler waren auf sich allein gestellt, um die knackigen Rätsel der Miller-Brüder zu lösen, von denen sie heute zugeben, dass sie teilweise etwas zu obskur und schwierig waren.

Dennoch wurde Myst, genauso wie King's Quest ein Jahrzehnt zuvor, als evolutionärer Sprung im Adventure-Genre gewürdigt. Während King's Quest das bewegliche Spieler-Sprite in die Grafik der Spielwelt brachte, also die unmittelbare Repräsentation der Spielenden, schien Myst den nächsten Schritt der grafischen Darstellung zu gehen, indem es den Spieler nicht zum Beobachter aus der dritten Person machte, sondern als in die Welt schauende Präsenz etablierte. 

 

Eines der Rätsel in Myst.

 

Die klassische Spielerschaft war bis dahin weit anderes von Spielen gewohnt: mehr Action, mehr Taktik, mehr Anspruch. Auch wenn letzteres diskutabel ist – die Welt ist tiefgründig, die Rätsel knackig –, so hat Myst doch ein breiteres Publikum vor den Bildschirm gebracht, das sich vor allem durch seine Diversität auszeichnete. Dementsprechend konnten viele Spieler, die die frustrierenden Adventures der 80er-Jahre oder die Excel-tabelligen Wizardrys und Bard's Tales der Vergangenheit durchlebt hatten, dem neuen Spiel, das die Einstiegshürden ins Gaming niederriss, nichts abgewinnen. Die Reaktion überraschte Robyn nicht.

„Ich glaube, es gab Dinge, die geübte Gamer frustriert haben. Es gab keine Befehlstasten, es gab nur die Maus und eine Taste, es gab keinen Avatar, die Welt wurde filmisch dargestellt. Aus diesem Grund mag Myst den Spielern, die an Spiele gewöhnt waren, die wie Spiele aussehen und sich auch so anfühlen, fast zu einfach erschienen sein. Und doch war es genau das, was Myst bei der Mehrheit unseres Publikums so beliebt machte – bei denjenigen, die noch nie zuvor ein Spiel gespielt hatten. Für sie war Myst zugänglich; es fühlte sich real an.“

Dem Erfolg von Myst tat diese Division in der Spielerschaft keinen Abbruch: Die mysteriöse Faszination von Myst sorgte dafür, dass es sich mehr als sechs Millionen Mal verkaufte und damit das meistverkaufte PC-Spiel aller Zeiten wurde, bis Die Sims im Jahr 2002 die Verkaufszahlen von Myst übertraf – ein weiteres Spiel, das sich wie Myst an eine andere Spielerschaft als den Kern-Gamer richtet.

 

 
 
 
 

Bis nächstes Mal!

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Liebe Grüße aus dem SFHQ

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