Vor 20 Jahren ... (September 2003)
Es war einmal vor langer Zeit (24 Jahre) in einer weit, weit entfernten Galaxis (San Francisco, USA und Edmonton, Canada) ... als LucasArts beim Baldur's Gate-Entwicklerstudio BioWare anklopfte und fragte, ob die nicht Interesse hätten, ein Star Wars-Rollenspiel zu entwickeln. LucasArts gab BioWare zwei Szenarien zur Auswahl: Ein Spiel zum anstehenden Film Angriff der Klonkrieger, dem zweiten Film der Prequel-Trilogie, oder ein Spiel, das 4000 Jahre vor den Prequels spielt. BioWare entschied sich – rückblickend – korrekterweise für die letztere Variante. Doch auch ohne das Wissen um die Qualität der Prequel-Filme war es die logische Wahl für BioWare: Anstelle sich durch die Handlung der Filme einzuschränken, konnten sie eine neue Geschichte und neue Figuren auf Basis einer gigantischen Franchise erschaffen, was schon zuvor mit Baldur's Gate funktioniert hatte. Die ersten Gespräche zwischen LucasArts und BioWare fanden 1999 statt, 2001 wurde auf der E3 das kommende Spiel enthüllt: Knights of the Old Republic. Die US-amerikanische Kundschaft hielt das Spiel schon im Juli in den Händen, deutsche Xbox-Spieler mussten sich bis September gedulden (was genau 20 Jahre her ist), PC-Spieler sogar bis Dezember.
BioWare 1997 – dieses Team entwickelte Baldur's Gate.
Die Erfahrungen aus Baldur's Gate sollten KOTOR zu einem geradlinigeren Spielerlebnis verhelfen. LucasArts' Mike Gallo sagte, dass sie eine Spieldauer von etwa sechzig Stunden anstrebten:
"Baldur's Gate hatte eine Spieldauer von 100 Stunden oder mehr. Baldur's Gate 2 war 200 Stunden lang ... Bei Knights of the Old Republic wird die Spielzeit geringer. Wir haben so viele Gebiete, die wir bauen – Welten, Raumschiffe, solche Dinge, die es zu erkunden gilt –, also haben wir eine Menge Gameplay."
Auch im Kampfsystem von KOTOR steckt noch ein Stück Baldur's Gate: Kampfaktionen werden nach den Regeln von Dungeons & Dragons berechnet. Diese werden zwar nicht direkt auf dem Bildschirm angezeigt, aber die vollständige Aufschlüsselung für jede Aktion (einschließlich Würfelwürfe und Modifikatoren) ist über ein Menü zugänglich.
Im Kampf ist man näher dabei als in Baldur's Gate.
Das Herzstück von KOTOR ist das Gesinnungs-System, eine dynamische Reflexion der Star-Wars-typischen Dichotomie zwischen Gut und Böse. Großzügigkeit und Uneigennützigkeit führen zur hellen Seite, während selbstsüchtige oder gewalttätige Handlungen den Spielercharakter zur dunklen Seite führen und sogar das Aussehen der Spielfigur verändern. Diese Entscheidungen gipfelten im Plot-Twist-Höhepunkt des Spiels – würden die Spieler ihr dunkles Vermächtnis anerkennen oder sich der hellen Seite der Macht zuwenden? Im Jahr 2008 wurde der Plot Twist in KOTOR auf Platz zwei der Game Informer-Liste der zehn besten Videospiel-Plot-Twists aller Zeiten gewählt.
Obwohl KOTOR im Star Wars Expanded Universe spielt (also unabhängig von den Hauptfilmen), hinterließ es einen bleibenden Einfluss auf das kanonische Universum. Charaktere wie Darth Revan und Orte wie Korriban fanden so großen Anklang, dass sie ihren Weg in die offiziellen Star Wars-Medien fanden. In den Serien The Clone Wars und Rebels werden Bösewicht Darth Revan und der Sith-Planet Malachor aus KOTOR referenziert, 2019 hieß es sogar, ein auf der Handlung des Spiels basierender Film sei in Entwicklung.
Dialoge führen zur hellen oder zur dunklen Seite der Macht.
Vor 25 Jahren ... (September 1998)
Mark Cerny fiel irgendwann 1997 auf, dass die PlayStation nicht noch ein weiteres düsteres Spiel brauchte. Was dem Lineup der Konsole fehlte, vor allem im Vergleich mit dem großen Konkurrenten Nintendo, waren Spiele, die einen größeren Massenmarkt ansprachen. Nintendo grub der PlayStation die jüngere Demografie ab. Das neue Spiel vom jungen Studio Insomniac Games, das 1996 mit Disruptor einen kommerziellen Flop – aber Kritikerliebling – schuf, sollte das ändern. Disruptor war ein grau-grüner Sci-Fi-Shooter, und auch das nächste Spiel von Insomniac sollte kein farbenfrohes Nintendo-Werk werden: Drachen waren das Thema, eine dunkle Fantasy-Welt, inspiriert vom Dennis-Quaid-Film Dragonheart. Das sagte Mark Cerny, damaligem Produzenten und Manager bei Universal, nicht zu. Es musste eine Figur her, die Kinder wieder zur PlayStation locken würde. Anstelle eines erwachsenen Drachentöter-Spiels wurden die Spieler nun selbst zu einem Drachen, der mehr an ein Plüschtier als Echse erinnerte: Spyro war geboren.
Was Nintendo mit seinem 3D-Plattformer-Meisterwerk Super Mario 64 auf dem N64 vorgelegt hatte, wollten Sony und Insomniac auf der PlayStation reproduzieren: Genau wie der Klempner hüpft und kämpft sich Spyro durch weitläufige 3D-Areale und eine farbenfrohe, actionreiche Welt.
Eine Welt, die zum Erkunden einlud. Das Spiel wurde 1998 für seine Grafik gelobt, und trotz aufwändiger 3D-Grafik litt Spyro nicht unter einer Spielwelt, die nach wenigen Metern technisch bedingt im Nebel verschwinden musste. Stattdessen konnten die jungen Spieler die Weitsicht der großen Level genießen: In der Ferne war der Horizont übersät mit hohen Türmen, hügeligen Feldern und Bergketten, die es zu erkunden galt.
Ohne Mühe abenteuerten sich Spieler durch die ausufernden Level, dabei half die Gleit-Mechanik. Als Drache ist Spyro nicht an das Leben als Fußgänger gebunden, sondern schwingt sich in die Lüfte, um über Felder und Berge zu fliegen. Spyro kann von einem Sprung aus in einen Gleitflug übergehen, wodurch die Bewegungsidentität des Spiels erst zur Geltung kommt. Das Gleiten wird im Grunde überall eingesetzt, vom Überwinden einfacher Hindernisse bis zum Entdecken von Geheimnissen. Insomniac hat sich das alte Motto zu Herzen genommen, dass schon die Bewegung Spaß machen muss.
Die Story ist so minimalistisch wie irrelevant für das Gameplay von Spyro: Ein Bösewicht hat mit einem Zauberspruch alle Drachen bis auf Spyro in Kristall eingehüllt, Spyro muss sie befreien. Auf dem Weg zu den Drachen und dem Endkampf mit Bösewicht Gnasty Gnorc feuerspeit sich Spyro durch unzählige Gegner, zerstört Kisten und sammelt Edelsteine. Typisches Plattformer-Gameplay, das Insomniac Games meisterhaft umgesetzt haben.
Dementsprechend erntete das Spiel zahlreiche Lorbeeren. Computer and Video Games bezeichnete das Spiel als "das mit Abstand beste 3D-Platformer-Spiel auf der PlayStation", Electronic Gaming Monthly schrieb, dass "Spyro für die PlayStation das ist, was Banjo-Kazooie für den Nintendo 64 ist", IGN lobte es als den spaßigsten 3D-Plattformer seit Crash Bandicoot. Mit den Crash Bandicoot-Entwicklern Naughty Dog waren Insomniac 1998 eng verbunden. Deren Büro befand sich direkt gegenüber dem von Insomniac, die beiden Teams arbeiteten häufig zusammen, spielten frühe Builds der Spiele des jeweils anderen und tauschten später Technologien aus. Infolgedessen war eine Demo von Crash Bandicoot: Warped in Spyro versteckt und umgekehrt.
Auch wer den Titel Dance Dance Revolution nicht erkennt, der hat das Spiel wahrscheinlich schon einmal gesehen: In keiner Arcade-Szene moderner Popkultur-Filme darf der Dance Dance Revolution (DDR)-Automat fehlen (eine Hommage gibt's zum Beispiel in Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt), ein Tanzpad mit Richtungspfeilen, die nach den auf dem Bildschirm angezeigten Hinweisen betanzt werden müssen – ein Spiel ohne Hand-, aber mit Fußbedienung. Die Spielerinnen und Spieler müssen im Takt der Musik auf die Pfeile treten, wodurch ein interaktives Tanzerlebnis entsteht, das vor allem mit einem Partner im Ko-op oder Duell viel Spaß bereitet.
Profi-DDR-Spieler würden sich übrigens auf den Haltestangen hinten abstützen, um die Muskeln zu schonen.
Tasten zur Musik drücken – DDR ist ein typisches Rhythmus-Spiel. Das war ein Genre, das in den ausgehenden 1990er-Jahren fest in der Hand des DDR-Entwicklers Konami lag, der mit seinen Serien Dance Dance Revolution und Beatmania (die ein Jahr vor DDR ihren Anfang nahm) vor allem in Japan gigantische Erfolge feierte. Die Konsequenz dieses frühen Mega-Erfolgs ist eine Liste von DDR- und Beatmania-Spielen, die sich wie ein Telefonbuch liest: Alleine von Beatmania gibt es 13 Hauptspiele plus Portierungen, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Von der weiterentwickelten Beatmania-IIDX-Reihe existieren 29 Spiele, und von den Pop'n-Music- und Guitar-Freaks-Titeln wollen wir gar nicht erst anfangen.
Dabei waren es gar nicht Konami, die das Genre der „rhythm games“ in Japan popularisierten. Der 1996 erschienene Titel PaRappa the Rapper vom Entwickler NanaOn-Sha gilt als das erste echte Rhythmusspiel und als eines der ersten musikbasierten Spiele. PaRappa erschien jedoch auf der PlayStation. Den Siegeszug der Rhythmus-Spiele führte Konami in der Arcade an, wo sich weder NanaOn-Sha mit späteren Titeln dem Kampf stellten, noch Enix, die auch nur die PlayStation mit Rhythmus-Titeln mit konventioneller Controller-Steuerung bedienten. Ein Herausforderer stellte sich jedoch Konamis Rhythmus-Macht: Mit Taiko no Tatsujin („Herrscher der Trommeln“, hier neben oben genannten Konami-Spielen im Film Lost in Translation zu sehen) etablierte Namco eine bis heute langlebige Serie, die zahlreiche Heimkonsolen-Ableger und sogar Partnerschaften mit einflussreichen Franchises wie Pokémon, One Piece und Attack on Titan erhielt.
Ein Guitar-Freaks-Spieler zieht eine Bewunderin an.
Auch Dance Dance Revolution ist heute noch weltweit erfolgreich. Es gibt internationale Turniere, eSport-Organisationen und Streamer, die die schwierigsten, abgedrehtesten Songs wochen- und monatelang üben, bis sie einen raren perfekten „Run“ schaffen. Zum Beispiel iamchris4life, der nicht nur DDR-Weltmeister, sondern auch ehemaliger Guitar Hero-Weltrekordhalter ist.
Die Musikauswahl von DDR reicht von J-Pop über elektronische Beats bis hin zu klassischen Popsongs, ikonische Songs wie Butterfly von Smile.dk und Paranoia von 180 erlangten Kultstatus. Wie andere Rhythmus-Spiele bieten viele DDR-Titel die Möglichkeit, eigene Songs ins Spiel einzufügen.
Im Jahr 2022 kündigte Konami eine große Erweiterung seiner offiziellen eSports-Organisation an, der BEMANI PRO LEAGUE. DDR wurde als Turnierliga aufgenommen, dazu gehören Sponsorenteams und Spielerdrafts. Mittlerweile ist schon das zweite DDR-Finale der Liga auf YouTube anzuschauen.
Vor 30 Jahren ... (September 1993)
Die Miller-Brüder Rand und Robyn starteten ihre Entwicklerkarriere mit einer Idee: ein interaktives Bilderbuch für die jüngere Generation. Mit dem Namen Cyan, Inc. setzten sie auf Macintosh-Computer und HyperCard, ein Tool, das mit grafischen Slides funktionierte und Informationen ähnlich wie PowerPoint-Präsentationen vermittelte. So konnten sie Geschichten mit simplen Texten und Grafiken erstellen, in denen die Spieler selbst über ihre Abenteuer entscheiden konnten.
Die Miller-Brüder 1993: links Robyn, rechts Rand.
Der Jungfernflug ihres interaktiven Bilderbuchspiels, The Manhole, erfolgte 1988 per Postversand. Das sollte die Aufmerksamkeit der großen Publisher auf sich ziehen. Es war Activision, die darauf ansprangen und das Spiel 1989 als erstes CD-ROM-Spiel für Mac und PC in den USA herausbrachten. In jener Zeit war das Konzept Nische: ein interaktives Märchenbuch, kein klassisches Adventure, und schon gar nicht etwas, das gestandene Spieler ansprach.
The Manhole
Die Miller-Brüder arbeiteten an Spielen ähnlicher Art wie The Manhole, aber sie wagten auch einen Vorstoß bei Activision. Sie präsentierten ihnen ein Spielkonzept, das eine weitaus gewaltigere Welt umspannte, eine Welt, die es zu erkunden galt. Eine Welt mit ihrer eigenen Historie und Geschichten und, nicht zu vergessen, kniffligen Rätseln, die es zu knacken galt – ein Ansinnen, das auf ein reiferes Publikum abzielte. Die Idee bekam einen Korb. Erst als ihr japanischer Publisher Sunsoft mit der Bitte auf sie zukam, ein Spiel für eine erwachsene Zielgruppe zu entwickeln, konnten die Miller-Brüder die Idee aus der Schublade ziehen, die sie bei Activision noch als The Gray Summons gepitcht hatten. Auf den im September 1993 millionenweise über die Ladentheken gehenden Spieleschachteln prangte ein anderer Titel: Myst.
Rand und Robyn widmeten sich zwei Jahre lang unabhängig von Publishern und Vorgaben der Entstehung von Myst und erweiterten damit den Horizont des Machbaren in der Spielewelt jener Zeit. Mithilfe von Tausenden computergenerierter Bilder, die aus unzähligen 3D-Modellen entstanden, hob sich die Welt von Myst von allem ab, was zuvor gewesen war. Eine Mischung aus Schönheit und surrealer Rätselhaftigkeit – ein Ort, in dem der Spieler die Story vorantreiben musste.
3D-Welt mit dickem Rahmen: So präsentierte sich Myst 1993.
Die definierende Eigenart von Myst war die grafische Darstellung, die, so eindrucksvoll die Bilder auch waren, fast komplett statisch ablief. Mittels des Mauszeigers klickten Spieler sich durch eine Diashow der Myst-Insel, die keine flüssigen Animationen oder Übergänge bot. In dieser Spielwelt gab es keine Action, keine Gegner und nur wenig Interaktion. Spieler waren auf sich allein gestellt, um die knackigen Rätsel der Miller-Brüder zu lösen, von denen sie heute zugeben, dass sie teilweise etwas zu obskur und schwierig waren.
Dennoch wurde Myst, genauso wie King's Quest ein Jahrzehnt zuvor, als evolutionärer Sprung im Adventure-Genre gewürdigt. Während King's Quest das bewegliche Spieler-Sprite in die Grafik der Spielwelt brachte, also die unmittelbare Repräsentation der Spielenden, schien Myst den nächsten Schritt der grafischen Darstellung zu gehen, indem es den Spieler nicht zum Beobachter aus der dritten Person machte, sondern als in die Welt schauende Präsenz etablierte.
Eines der Rätsel in Myst.
Die klassische Spielerschaft war bis dahin weit anderes von Spielen gewohnt: mehr Action, mehr Taktik, mehr Anspruch. Auch wenn letzteres diskutabel ist – die Welt ist tiefgründig, die Rätsel knackig –, so hat Myst doch ein breiteres Publikum vor den Bildschirm gebracht, das sich vor allem durch seine Diversität auszeichnete. Dementsprechend konnten viele Spieler, die die frustrierenden Adventures der 80er-Jahre oder die Excel-tabelligen Wizardrys und Bard's Tales der Vergangenheit durchlebt hatten, dem neuen Spiel, das die Einstiegshürden ins Gaming niederriss, nichts abgewinnen. Die Reaktion überraschte Robyn nicht.
„Ich glaube, es gab Dinge, die geübte Gamer frustriert haben. Es gab keine Befehlstasten, es gab nur die Maus und eine Taste, es gab keinen Avatar, die Welt wurde filmisch dargestellt. Aus diesem Grund mag Myst den Spielern, die an Spiele gewöhnt waren, die wie Spiele aussehen und sich auch so anfühlen, fast zu einfach erschienen sein. Und doch war es genau das, was Myst bei der Mehrheit unseres Publikums so beliebt machte – bei denjenigen, die noch nie zuvor ein Spiel gespielt hatten. Für sie war Myst zugänglich; es fühlte sich real an.“
Dem Erfolg von Myst tat diese Division in der Spielerschaft keinen Abbruch: Die mysteriöse Faszination von Myst sorgte dafür, dass es sich mehr als sechs Millionen Mal verkaufte und damit das meistverkaufte PC-Spiel aller Zeiten wurde, bis Die Sims im Jahr 2002 die Verkaufszahlen von Myst übertraf – ein weiteres Spiel, das sich wie Myst an eine andere Spielerschaft als den Kern-Gamer richtet.